Skalierungsmethoden

Mit der Organisation wachsen kann man auf sehr unterschiedlichen Wegen. Letztlich hängt es davon ab, wie komplex das Vorhaben ist, wie viel Kontrolle man als Gründer:in behalten will und letztlich wie viel Zeit man investieren will. Hier stellen wir drei idealtypische Varianten vor.

Manchmal beginnt eine Skalierung ungeplant: Eine Organisation wird bekannter – sei es durch ihre Angebote, durch eine Preisverleihung oder auch bloß einen Zeitungsartikel. Danach kommen Anfragen – aus derselben Stadt, dem Umland, dem Bundesland oder auch ganz Deutschland: „Kann es so etwas nicht auch bei uns geben?“ Die ersten Anfragen werden dann oft aufs Geratewohl bedient. Ein Wachstum setzt ein, das organisch, nicht aber strategisch ist – das Ergebnis kann sein: Euer Ansatz wird nicht in eurem Sinne umgesetzt, das Konzept vielleicht verwässert, eure Partner:innen vor Ort waren doch nicht die geeigneten und eure Ressourcen sind bald aufgebraucht.

Besser ist es, wenn man von vornherein eine bewusste Entscheidung für eine Verbreitung trifft und diese dann strategisch angeht. Wenn wir von Skalierung sprechen, verstehen wir darunter deshalb die strategische Verbreitung eines wirksamen Ansatzes. Was ihr braucht, ist nichts weniger als einen Masterplan! Schließlich ist Skalierung nicht gleich Skalierung. Im Gegenteil: Kaum ein Weg, den eine Organisation wählt, gleicht dem einer anderen. Wie auf einer Bergtour gibt es höchst unterschiedliche Routen. Alle führen zum Gipfel und doch sind sie sehr unterschiedlich. Der direkteste Weg ist wahrscheinlich besonders steil und nur für die austrainierten Alpinisten geeignet. Da muss jeder Handgriff sitzen, Pannen können schnell gefährlich werden. Eine andere Route führt über Serpentinen – das ist entspannter, erfordert weniger Konzentration, aber mehr Zeit. Und ein dritter Pfad verbindet vielleicht Teilstücke aus den ersten beiden Wegstrecken und passt durch den Wechsel zwischen flachen und anspruchsvollen Partien perfekt zu den Fähigkeiten und Bedürfnissen des [BvB1] Bergsteigerteams.

Genauso empfiehlt es sich, dass ihr eure Skalierungsmethode ganz individuell auf eure Bedarfe und euer Know-how anpasst. Nichtsdestotrotz gibt es idealtypische Verbreitungswege, die kennenzulernen euch helfen soll, euch zurechtzufinden und die für euch richtige Methode zu finden. Schauen wir uns diese einmal genauer an.


Ein, zwei oder drei?

Geht es um Skalierungsmethoden, geistern zahlreiche Begriffe durch den Raum – wenige davon sind klar definiert. Häufig hört man „Social Franchise“, dann gibt es die offene Verbreitung („open source“), „Filialisierung“, „vertragliche Partnerschaften“, „Kapazitätserweiterung“ und vieles mehr. Bei openTransfer haben wir uns für einen Dreiklang entschieden, der die diversen methodischen Varianten mit ihren unterschiedlichen Benennungen klar aufteilt: Diffusion, Kooperation und Expansion. Im Folgenden stellen wir euch alle drei Methoden vor, nennen Vor- und Nachteile und zeigen Beispiele erfolgreicher Umsetzung.

Diffusion

Die Diffusion ist sicherlich die simpelste Form der Weitergabe einer Idee. Sie wird bei diesem Ansatz an unabhängige Partner:innen weitergegeben, ohne dass dabei Verträge geschlossen werden. Ihr könnt euer Wissen einfach dadurch weitergeben, dass ihr alle Informationen für die erfolgreiche Durchführung der Aktivitäten offenlegt. Aufbau und Prozesse erklärt ihr beispielsweise in einem Handbuch, Wiki, in Checklisten oder auf eurer Homepage. Ihr könnt auch Workshops und Schulungen anbieten, um zu vermitteln, was ihr tut.

Nach der Übergabe findet der weitere Austausch auf freiwilliger Basis statt.

Die Methode hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite habt ihr relativ wenig Einfluss darauf, wer eure Idee übernimmt und wie sie dann vor Ort umsetzt wird. Auf der anderen Seite kann durch die Diffusion eine Skalierung sehr niedrigschwellig stattfinden. Das verspricht eine rasche Verbreitung bei für euch geringem Aufwand. Außerdem habt ihr die Möglichkeit, später von den Ideen und Erfahrungen der neuen Standorte zu lernen.

Kooperation

Unter „Kooperation“ fassen wir verschiedene Modelle mit der Gemeinsamkeit, dass die Initiator:innen ihr Modell auf der Grundlage einer verbindlichen Vereinbarung verbreiten. Das heißt, die lokalen Umsetzer:innen sind rechtlich unabhängig, verpflichten sich aber auf die Einhaltung bestimmter Standards, manchmal auch auf die Zahlung von Gebühren, um die Aktivitäten unter der Marke anbieten zu können. Diese vertragsbasierte Verbreitung wird häufig „Social Franchise“ genannt, umfasst aber auch weniger detailreich ausgestaltete Formen der Zusammenarbeit. Bestimmte Mitglieds- und Netzwerkvereine sind ebenso Formen von Kooperation wie Lizenzmodelle oder Joint Ventures.

Kennzeichen einer Skalierung auf dem Weg einer „Kooperation“ sind eine festgelegte Arbeitsteilung zwischen der Organisation, die ein Modell verbreitet, und den lokalen Partner:innen (zum Beispiel hinsichtlich Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising), regelmäßige Austauschformate (etwa Jahresgespräche, überregionale Treffen, digitale Chats, Evaluationen) und manchmal auch Lizenzgebühren. Häufig wird bei einer „Kooperation“ ein schlüsselfertiges Programm übergeben: mit einem Handbuch und einer Website, die alles Wissenswerte enthalten, mit Schulungen, einer engen Begleitung des Gründungsprozesses, Qualitätsmanagement.

An die Anbieter:innen sind bei diesem Modell ebenfalls Erwartungen gerichtet: So beinhaltet deren Rolle, dass sie das Modell weiterentwickeln, neue Bedarfe aufnehmen, auf besondere Ereignisse reagieren (man denke beispielsweise an die Corona-Pandemie) und für die weitere Verbreitung und Bekanntheit des Angebots sorgen. Unter dem Strich müssen sie so mehr Ressourcen aufbringen als bei der Diffusion.

Expansion

Eine weitere Möglichkeit der Verbreitung ist die Expansion, die auch häufig als „Filialisierung“ bezeichnet wird. Bei dieser Methode eröffnet eine Organisation einen rechtlich gebundenen Ableger oder eine Niederlassung an einem anderen Ort. Die administrative Leitung bleibt weitestgehend bei der Zentrale, die in der Regel auch die Finanzierung übernimmt. Der Vorteil: Die lokalen Standorte können sich dann ganz auf die Umsetzung der Aktivitäten konzentrieren. Sie müssen keine eigene Rechtsform finden und sich etwa um steuerliche Belange kümmern. Die Organisation Arbeiterkind.de mit ihren 80 Hochschulgruppen etwa arbeitet so und entlastet ganz bewusst die Standorte. Die Kontrollmöglichkeiten sind bei diesem Modell für die Zentrale besonders groß. Zu bedenken ist allerdings, dass der personelle und finanzielle Aufwand relativ hoch ist und auch die Anpassung an lokale Gegebenheiten schwerer fallen kann.

Neben der Entlastung der Standorte kann aber noch eine ganz andere Konstellation für eine Skalierung via Expansion sprechen. Bei sehr komplexen Vorhaben, etwa der Errichtung und dem Betrieb von Kindergärten, kann es sinnvoll sein, dies in den Händen einer Zentrale zu belassen, wo einschlägiges Know-how und Erfahrungswissen vorhanden sind. Die Weitergabe sämtlicher Kenntnisse an Partner:innen wäre extrem aufwendig und fehleranfällig. Das gleiche Argument sollte man gelten lassen, wenn es um das Einhalten von sehr hoch angesetzten Qualitätsstandards geht. Gerade bei sehr sensiblen Zielgruppen mag ein zentrales Management sinnvoll sein.

In weiteren Beiträgen werden die einzelnen Skalierungsmethoden genauer vorgestellt!


Henrik Flor

Diplom-Politologe, absolvierte nach dem Studium ein Verlagsvolontariat und betreute danach für eine Kommunikations-Agentur verschiedene Kunden aus der Buchbranche. Er leitete bis 2021 den Bereich Redaktion & Konzeption bei der Stiftung Bürgermut, baute dort das digitale Engagement-Magazin Enter auf und war von Anfang an bei der Entwicklung von opentransfer.de dabei. Henrik Flor ist Gründungsmitglied des Vereins Netzdemokraten, der Partizipationsmöglichkeiten im Internet auslotet.

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