Von Kümmerern und Klütersuppe: Auf Expedition mit openTransfer Zusammenhalt
Ende September ging es für uns auf eine zweitägige Reise zu engagierten Projektemacher:innen in Mecklenburg. Dabei haben wir neue Menschen und Orte kennengelernt und leuchtende Augen erblickt, als Klütersuppe serviert wurde. Was das ist und was wir erlebt haben, verraten wir in diesem Blogbeitrag.
Wer war schon einmal in Neustrelitz? Die Stadt mit etwas über 20.000 Einwohner:innen liegt 100 Kilometer nördlich von Berlin in Mecklenburg – dem westlichen Teil von Mecklenburg-Vorpommern. Seit gut zwei Jahren kennen viele sie als den Sitz der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, aber auch ohne diese ist dort eine spannende Vereinslandschaft aktiv, die wir uns am ersten Tag unserer Expedition genauer anschauen wollten.
Die Alte Kachelofenfabrik und das Thema Beteiligung
Das Basislager unserer Expedition war die Alte Kachelofenfabrik Neustrelitz. Sie ist ein einladend umgebautes altes Fabrikgelände, in dem sich neben den für uns interessanten Übernachtungs- und Tagungsmöglichkeiten auch ein Restaurant und ein Programmkino befinden. Im Dachgeschoss trafen wir erstmals unsere Teilnehmer:innen, aus Altenburg, Erfurt, Werder, Rostock, Chemnitz, Möllenbeck, Viereck und mehr. Nach einigen Kennenlern-Runden tauchten wir tief ein in das Thema Dorfmoderation und Anregung zur Beteiligung.
Die Schule der Landentwicklung
Johanna Menzel ist in Vorpommern groß geworden, hat sich beruflich mit aktiver Bürgergesellschaft auseinandergesetzt und promoviert an der Uni Rostock zu den politischen und gesellschaftlichen Folgen der Transformation ländlicher Besitzverhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern. Mit diesem geballten Erfahrungswissen gab sie uns einen ganz praktischen Einblick, wie sie als Teil der Schule der Landentwicklung Menschen in den Städten und Dörfern Mecklenburg-Vorpommerns unterstützt.
Die Schule der Landentwicklung kommt, wenn man sie ruft. Dann moderiert das Team offene Gesprächsformate mit Bürger:innen darüber, wie sie in ihrem Ort leben. Darüber, was gut ist, was sich ändern müsste, was man verändern könnte – und was sonst noch zu besprechen ist. Dabei bilden sich nicht selten gleich vor Ort motivierte Projektgruppen, die die gesammelten Befunde mitnehmen und – auch mit guten Tipps der angereisten Prozessbegleiter:innen – Gesprächen mit politischen Verantwortungsträger:innen oder Förderprogrammen aufnehmen und in die Umsetzung starten.
Dorfmoderation – nicht nur in Viereck
Nach diesem hauptamtlichen Blick ging es direkt in die ehrenamtliche Dorfpraxis. Dorfmoderator Dittmar Vonau aus Viereck zeigte ganz praktisch, wie Dorfmoderator:innen als echte “Kümmerer” in einem Ort Wirkung entfalten können. Dabei lernten wir auch, dass Dorfmoderator:innen in Schleswig-Holstein tatsächlich “Kümmerer” genannt werden, in Mecklenburg-Vorpommern dieser Begriff aber für kränkelnde Ferkel und andere Tiere reserviert ist …
Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den glücklichen Bundesländern mit einem umfangreichen Schulungsangebot für Dorfmoderation. Die Hochschule Neubrandenburg bietet diese an – und Dittmar war gleich von Anfang an dabei. Er ist von der Ausbildung überzeugt: Dort lerne man weniger, WAS man umsetzen kann vor Ort (das wisse man meist selbst am besten), sondern das WIE, sagt der engagierte Künstler. In der Alten Kachelofenfabrik zeigte er, wie gemeinsam Plätze im Ort umgestaltet wurden, so dass Gäste und Einheimische sich wohlfühlen und Platz zum Verweilen haben. Oder wie mit einer gemeinsamen Fotoaktion Lieblingsplätze und die Schönheiten des Dorfes sichtbar gemacht wurden. Oder wie gemeinsam Kunst geschaffen wurde, oder oder oder …. Mehr zum Thema “Küss dein Dorf wach” – dem Dorfmoderationsprogramm der HS Neubrandenburg – gibt es hier.
Soziokultur im Netzwerk: Zu Besuch im Kunsthaus Neustrelitz
Nach der Kaffeepause ging es in die Schloßstraße. Dort hat das Kunsthaus Neustrelitz sein (neues) Zuhause gefunden. In dem wunderschönen Altbau mit großen Räumen war viel los: Nach Schulschluss hatte die hier beheimatete Kinder- und Jugendkunstschule ihre Ateliers geöffnet und wir waren umgeben von wuselnden Kindern, trocknenden Tonfiguren und Bildern.
Wir waren jedoch nicht zum Kunst machen dort, sondern um uns von Thomas Kowarik zeigen zu lassen, dass das Kunsthaus mehr als seine Kunstschule ist. Hinter dem Namen steckt ein soziokulturelles Zentrum mit vielfältigem Angebot. Neben Räumen für Treffen verschiedenster Initiativen und Angebote ist hier auch der Jugendbeirat zuhause, ein umfangreiches Medienlabor und Platz für Parties.
Gemeinsam stärker: Das Vereinsnetzwerk EiNZ
Thomas hatte sich für die Führung durch das Kunsthaus Verstärkung geholt. Anne Steffen (Ukraine-Helferteam) und Kristina Ropenus (Ehrenamtskoordination AWO Mecklenburgische Seenplatte) waren auch mit dabei und erzählten, wie bei der jährlichen Demokratiekonferenz in Neustrelitz 2020 der Impuls entstand, sich (nicht nur) in der Krise besser miteinander zu vernetzen und ein Vereinsnetzwerk zu gründen.
EiNZ steht für „Engagiert in Neustrelitz“. In dem Netzwerk organisieren sich Vereine, Einzelpersonen, Einrichtungen und Initiativen, die sich in und für Neustrelitz engagieren oder Engagierte unterstützen. Das Netzwerk bietet ein Forum für bessere Zusammenarbeit, die gegenseitige Unterstützung und den Austausch untereinander. So sind nun alle in der Lage, Ressourcen zu teilen, sich Hilfe zu holen oder anderweitig zu unterstützen.
Dabei hilft auch das eingerichtete HumHub – ein soziales Intranet, das ähnlich wie Facebook geschützt auf eigenen Servern für das Netzwerk bereitgestellt wird. Beeindruckt hat uns, dass hier die Stadtverwaltung und die AWO das HumHub bzw. die Website des Vereins auf eigenen Servern bereitstellen und damit auch die Haftung übernehmen.
Stulle und Förderung: Unser Meet-up
Am Abend erweiterten wir den Kreis unserer Gäste in den großzügigen Räumlichkeiten des Kulturquartiers Neustrelitz: Wir luden zu unserem ersten openTransfer Zusammenhalt Meet-up ein, zu dem noch weitere Gäste aus dem Umland zu uns stießen. Wie der Titel verrät, gab es zum Feierabend belegte Brote, Getränke und die Möglichkeit, mit unseren eingeladenen Förder-Expert:innen und den anderen Gästen ins Gespräch zu kommen.
Jacqueline Antony zeigte an ihrem Tisch die vielfältigen Fördermöglichkeiten der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt auf und gab praktische Tipps für die Antragstellung mit auf den Weg. Franz-Martin Schäfer von der Ehrenamtsstiftung MV hatte nicht nur hilfreiche Handbücher zur Organisationsentwicklung dabei und jede Menge Infos zu dem Förderprogrammen seines Arbeitgebers, sondern konnte als Jurist auch bei schwierigen Fragen zu Gemeinnützigkeitszwecken und mehr helfen. Bei Bettina Wilhelm-Wiehle erfuhren viele Gäste erstmals von den Fördermöglichkeiten im Rahmen des LEADER-Programms für Regionalentwicklung, in diesem Falle zu LEADER Mecklenburgische Seenplatte.
Das Fazit: Das Format hat sich bewährt und weitere Einladungen zu Stulle + einem neuen Thema werden folgen. Seid ihr dabei? Am Thema Förderung bleiben wir mit unseren digitalen Sprechstunden bis Jahresende dran. Hier könnt ihr dabei sein.
Tag 2: Auf nach Teterow
Koffer packen, auschecken – und dann am eigenen Leib erfahren, welche Strecken Engagierte nicht selten in MV zurücklegen müssen, wo die Landkreise teils größer als das Saarland sind. Wir waren unterwegs nach Teterow, einer Kreisstadt mit rund 10.000 Einwohner:innen auf halber Strecke zwischen Neubrandenburg und Rostock.
Auf dem Programm stand ein Besuch beim forma_te e.V. Der Verein hat sich vorgenommen, Gemeinschaft, Begegnung und Lebendigkeit im ländlichen Raum zu fördern. Kurz gesagt: Der Besuch war für die Gruppe sehr inspirierend und nicht wenige wären gern geblieben, um noch etwas mit anzupacken.
Das Team hat sich einen ehemaligen “Obst-Gemüse-Speisekartoffel”-Industriekomplex aus der DDR gesichert und ist dabei, diesen zu einem soziokulturellen Zentrum für Jung und Alt umzubauen. Offene Werkstätten, Kulturzentrum, Jugendsozialarbeit, Kunst- und Kultur: Vor unseren Augen entstanden in den teils noch ruinenhaften Räumen die Bilder kommender Angebote. Doch auch jetzt finden schon viele wichtige Veranstaltungen auf dem Gelände statt, die (nicht nur) jungen Menschen Alternativen bieten, sich in ihrer Freizeit selbst zu verwirklichen, Neues zu lernen und sich einen eigenen Ort zu erschaffen.
Um weitere Räume baulich aufzubereiten, braucht es noch einige Investitionen, und so sprachen wir auch über mögliche Förderprogramme und die beständigen Herausforderungen, Eigen- und Drittmittel zu erwirtschaften ebenso wie über den Mut, mit großen Summen im Ehrenamt zu jonglieren. Dabei hilft forma_te auch ein klares Selbstverständnis, mit dem sie – in Verbindung mit weiteren Kooperationsprojekten – das Vertrauen in der Stadtverwaltung und bei weiteren Unterstützungsstrukturen gewinnen konnten.
Mehr Fördergeschichten aus Neubrandenburg
Als letzten Programmpunkt konnten wir in Teterow noch zwei weitere tolle Zusammenhalts-Projekte kennenlernen, die extra für uns aus dem benachbarten Neubrandenburg anreisten. Lars Krychowski vom BUND bzw. der BUNDjugend erzählte, wie die Community Kitchen in Neubrandenburg nicht nur eine Anlaufstelle für Geflüchtete und Zugewanderte schafft und Zusammenhalt im gemeinsamen Kochen stiftet, sondern auch als funktionierende Struktur für die Ukraine-Hilfe quasi über Nacht mitten in die Verantwortung gerückt wurde. Am Rande des Inputs gab es auch einige Tipps zu Fördermitteln unter anderem über die Mikrofördertöpfe der Lokalen Partnerschaften für Demokratie.
Als letzten inhaltlichen Input ging es noch einmal tief ins Thema Förderung. Jan Kirchstein von der Johanniter-Unfall-Hilfe Neubrandenburg hat ein Lieblingsprojekt: Einen Kleingarten, in dem Menschen beim Kochen und Werken Gemeinschaft erfahren und unabhängig von ihrer Herkunft miteinander ins Tun kommen können. Dazu hat er sich auf die Suche nach Fördermitteln gemacht, an Schreibwerkstätten von Projektschmieden teilgenommen und jede Menge Tipps und Empfehlungen gegeben, wie auch andere solche Projekte finanziell auf den Weg bringen können. Nachmachen erlaubt! Sobald das Projekt offiziell gestartet ist, werden wir sicherlich noch einmal berichten.
Zum Abschluss eine Klütersuppe
Bei strahlendem Sonnenschein ließen wir auf dem Gelände von forma_te die Expedition ausklingen. Letzte Kontakte und Gedanken wurden ausgetauscht. Die servierte Klütersuppe zum Kaffee löste bei den Nordlichtern unter den Anwesenden leuchtende Augen und jede Menge Kindheitserinnerungen aus. Es handelt sich um eine warme Obstsuppe mit kleinen „Klütern“, also Teig-Teilchen, die in dem Fruchtsud mitgaren. Wollt ihr das auch probieren? Dann hier entlang.
Wir freuen uns schon auf weitere Expeditionen – kommt ihr beim nächsten Mal auch mit?
openTransfer Zusammenhalt ist ein Programm der Stiftung Bürgermut und wird gefördert durch die Stiftung Mercator.
Ein Kommentar bei “Von Kümmerern und Klütersuppe: Auf Expedition mit openTransfer Zusammenhalt”