Nutze die Intelligenz der Vielen!

Positiv zu wirken liegt im Trend: Sozialunternehmen sprießen aus dem Boden, Siegel weisen auf die Nachhaltigkeit von Produkten hin und die Arbeit wirkungsvoller Projekte wird vermehrt von den Medien aufgegriffen. Trotz des hohen Interesses bleibt ein Stück Skepsis, denn viele Vorhaben erzeugen bisher nicht die gewollte Wirkung. Bei der Vielzahl an Akteuren und oft chaotischen Prozessen ist es eine große Herausforderung, den Überblick zu behalten und das Richtige richtig zu tun. Dieses Problem wird verstärkt, sobald wirkungsorientierte Vorhaben wie am Reißbrett geplant und initiiert werden. Doch es gibt Abhilfe: Junge Organisationen zeigen mit neuen Ansätzen, wie durch Transparenz und Kollaboration die Intelligenz der Vielen nutzbar gemacht werden kann.

Im Geschichtsunterricht wurde uns beigebracht, dass es die Ideen großer Persönlichkeiten waren, die für gesellschaftlichen Fortschritt gesorgt haben. Diese Ansicht macht unsere Ideen zu unseren eigenen Patenten. Um den maximalen Nutzen einer Idee auszuschöpfen, sollten wir sie folglich für uns behalten. Teilen wird hier als Verlust verstanden. Nach demselben Modell werden auch heute noch Projekte und Programme behandelt: Die Lösungen auf gesellschaftliche Probleme sollen aus den Ideen einzelner Personen oder Organisationen entstehen. Häufig werden dadurch die Lösungsansätze für gesellschaftliche Veränderungen in den isolierten Räumen der Vereine, Regierungen und Firmen entwickelt. Doch für die Lösung der vielseitigen Ursachen gesellschaftlicher Probleme ist diese Ansicht antiquiert. Ein neuer Ansatz muss her; einer, der die Intelligenz der Vielen nutzt.

Einige Organisationen experimentieren bereits mit neuen Methoden der Entscheidungsfindung. Sie versuchen, verschiedene Stakeholder an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Sie brechen damit mit althergebrachten Entscheidungsstrukturen und unterstützen stattdessen eine Dezentralisierung der Wissensverarbeitung. Hier wird der Wert der Perspektiven Vieler über hierarchischen Professionalismus gestellt. Es werden die vorher isolierten Büros und Besprechungsräume für einen gesellschaftlichen Dialog geöffnet. Die Ergebnisse sind äußerst interessant: Aus dem Treffen von Personen in verschiedenem Alter, aus unterschiedlichen Kulturen und mit vielseitigen Lebenssituationen erwachsen innovative Ideen und neue Möglichkeiten. Diese Herangehensweise ermöglicht es den Organisationen vielfältige Dimensionen eines gesellschaftlichen Problems zu untersuchen und damit wirkungsvolle Lösungen zu entwickeln.

Cool Ideas Society ist eine dieser Organisationen, die kreative Stakeholderdialoge eröffnet. 2005 in den Niederlanden gegründet, hat sie heute weitere Ausläufer in Deutschland, Großbritannien, China und Mexiko. Alleine in Deutschland gibt es diese Dialoge in Köln, Essen, Berlin, Hamburg und München und weitere Pläne für die Rhein-Main-Region und den Allgäu. Der große Erfolg von Cool Ideas Society ist auf ihren kollaborativen Ansatz zurückzuführen: In drei- bis vierstündigen abendlichen Veranstaltungen treffen sich interessierte Personen zum gemeinsamen Austausch. Dabei stehen an jedem Abend einige Vorhaben im Mittelpunkt. Nach einem kurzen Pitch erhalten diese durch professionelle Moderationstechniken Feedback vom Publikum. Die Diversität der Antworten hilft den Pitchern, ihre Ideen und Konzepte weiter zu bringen und Interessenten für ihre Sache zu gewinnen. Dabei können Ideen in ihrer Breite erforscht werden – wie es zum Beispiel beim klassischen Brainstorming geschieht – oder in die Tiefe weiter ausgearbeitet werden. Der Prozess richtet sich dabei nach der Art der Fragestellung und dem Bedürfnis des Pitchers.

ProjectTogether ist ein Beispiel einer Online-Plattform, die Kollaboration ermöglicht. Das Team aus München hat einen Schritt-für-Schritt Online Coaching Prozess entwickelt, mit Hilfe dessen Zusammenarbeit und Austausch für soziale Projekte möglich wird. Kollaboration entsteht dabei auf zwei Weisen: Zuerst wird die Idee heruntergebrochen und konkretisiert. Es bleiben klare Teilziele und Aufgaben stehen, die von Projektunterstützern übernommen werden können. Jede Aufgabe ist dabei im Prozess an eine bestimmte Fähigkeit geknüpft. Dies erlaubt es, dass Gleichgesinnte passend zu ihren Fähigkeiten Aufgaben übernehmen können und somit weitere Erfahrungen sammeln können. Die zweite Art der Kollaboration folgt nach der Umsetzung der Idee: ProjectTogether untersucht die besten Methoden, um soziale Projekte zum Erfolg zu bringen. Dadurch, dass viele Projekte ihre Erfahrungen teilen, können die besten Methoden untersucht und untereinander ausgetauscht werden. Das Ziel von ProjectTogether ist es, möglichst viele passende Lösungen bereitstellen zu können.

Kaum eine Organisation hat es sich so deutlich zur Aufgabe gemacht, Kollaboration und kollektive Führung zu fördern, wie das Collective Leadership Institute. Aus dem Headquarter in Potsdam ermöglicht es Menschen weltweit, die großen Möglichkeiten der Intelligenz der Vielen zu nutzen. „Bisher leben wir in einer Welt, die in Silos gebaut ist. Unternehmen, Organisationen, Nationen, Kulturen und Religionen sehen sich gezwungen, im Wettbewerb zu agieren und Wettbewerb zu organisieren. Doch die globalen Herausforderungen erfordern neue, mutige Lösungen. Dazu sollten wir die Chance ergreifen, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten“, erklärt Petra Künkel, Geschäftsführerin des Collective Leadership Institute. Sie ist die Entwicklerin des Collective Leadership Kompass. Dieser vereinfacht den Umgang mit komplexen Problemen und legt einen Grundstock für gemeinsamen Austausch und Aktivitäten. In Workshops rund um die Welt geben sie dieses Instrument wichtigen Stakeholdern an die Hand und im Young Leaders for Sustainability Programm können Young Professionals die Nützlichkeit des Kompasses anhand eigener Projekte erkunden.

Der Verein ShoutOutLoud aus der Rhein-Main-Region ist ein weiteres Beispiel für Kollaboration. Er eröffnet die Möglichkeit, gemeinsam auf Lösungen für gesellschaftliche Probleme hinzuarbeiten. Er ist eine Plattform für Projekte unterschiedlicher Couleur und ermöglicht damit den Austausch zwischen unterschiedlichen Ansätzen und Projekten. „Der multikulturelle Hintergrund unserer Mitglieder sorgt für einen ständigen, lebendigen Diskurs. Diese Heterogenität schafft häufig erst das Bewusstsein für viele Probleme, welche vorher aufgrund fehlender Sensibilisierung nicht oder nur am Rande wahrgenommen werden. Einmal sensibilisiert, ist es nicht mehr möglich, die Augen vor den sehr komplexen Problemen unserer Gesellschaft zu verschließen.“ erklärt Kenan Bozhüyük, Mitglied bei ShoutOutLoud, die Notwendigkeit vieler Ansichten. Die Mitglieder des Vereins arbeiten lokal zusammen, um Schritt für Schritt eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen.

Gesellschaftliche Probleme werden nicht einfacher werden: Soziale Ungleichheit, ökologische Herausforderungen, kulturelle Monokulturen und ökonomische Krisen werden die Notwendigkeit für wirkungsvolle Vorhaben weiter steigen lassen. Dazu kommt eine verstärkte globale Vernetzung. All diese Faktoren sorgen für eine steigende Komplexität, mit der Manager wirkungsorientierter Vorhaben zu kämpfen haben. Durch die Nutzung kollektiver Intelligenz können wir diese Herausforderung gemeinsam lösen, Probleme in ihrer Vielseitigkeit untersuchen und uns gemeinsam für die Skalierung wirkungsvoller Projekte entscheiden.

Michael Wunsch

Michael Wunsch kann nie still sitzen und liebt es sinnvolle Projekte umzusetzen. Als Projektleiter bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen (bag-if) - einem Verband deutscher Sozialunternehmen - leitet er das deutschlandweite Skalierungsprojekt für den Zuverdienst. Mit seinen eigenen Projekten ist Michael dabei Lösungen auf soziale und ökologische Herausforderungen zu finden. In Südschweden ist er als Sozialunternehmer unterwegs: Dort baut er mit seiner Kollegin Gabriele Ottosson ein Hotel für Menschen mit Beeinträchtigung auf. Mit diesen Erfahrungen als Unterlage unterstützt er darüber hinaus Organisationen, Politiker und Parteien dabei, Wirkung besser zu verstehen und zu kommunizieren. In seiner Freizeit studiert Michael Projektmanagement auf Masterniveau an der Hochschule Ludwigshafen, wo er untersucht, wie Projekte mit sozialer Wirkung adäquat geleitet werden können. Ihr erfahrt mehr über Michaels Tätigkeiten unter schnuw.com.

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