Jobvermittlung für Newcomer – vier Initiativen stellen sich vor
Social Impact Recruiting (SIR), Horizont, Social-Bee, Jobs4refugees auf dem openTansfer CAMP Refugees am 30.04.2016 in München
Vier Initiativen haben ein Ziel: Neuankommenden Jobs zu vermitteln oder diese fit für zukünftige berufliche Herausforderungen zu machen. Die Diskussion zeigte, dass hier besonders viel Potenzial für Projekttransfer besteht und die Bereitschaft, voneinander zu lernen, besonders groß ist.
Social Impact Recruiting (SIR): die persönliche Personalvermittlung für Geflüchtete
Das Kernteam von SIR umfasse zurzeit fünf Leute, hinzu kämen ca. 20 Freiwillige. Die Vermittlung der Jobsuchenden erfolge vor allem auf Basis des persönlichen Kontakts zwischen Geflüchteten und Unternehmen mit sozialer Verantwortung. So gebe es zum Beispiel einen regelmäßig stattfindenden Workshop zur Gestaltung von Lebensläufen. Der Fokus des Teams liege auf der Vermittlung durch persönliche Gespräche – ein individuelles Verfahren. Dennoch zeichneten sich bei SIR bald Schwierigkeiten im Bereich IT ab: Excel-Tabellen und Datensätze seien aufgrund der immer umfangreicheren Aktivitäten schnell unübersichtlich geworden. Eine Antwort auf diese Herausforderung hätten sie in der Kooperation mit der Initiative „Horizont“ gefunden.
HORIZONT: Perspektive Vielfalt – Internetplattform für Newcomers
Horizont, so die Initiatoren, sei ein Innovationsprojekt, das aus der Design-Thinking-Perspektive entstanden sei. Die Gründerinnen und Gründer sähen in den vielen Menschen mit Fluchterfahrung, die in und um München ankommen, in erster Linie „Newcomer“ und wollten mit dieser Wortwahl ein deutliches Zeichen für eine bewusste Willkommenskultur setzen. Mit ihrer Online-Plattform wollen sie eine Brücke zwischen Newcomern und Unternehmen schlagen. Mit Hrznt.de sei ein Tool entwickelt worden, das es ermögliche, Fähigkeiten und Bildungsniveau intuitiv zu erfassen. Ihre Erfahrungen hätten aber auch gezeigt, dass die Bedienung in der Realität häufig geschulter Helferinnen und Helfer bedürfe, die den Newcomern zur Seite stehen. Die Initiative sähe sich aber auch als eine mögliche Schnittstelle zu anderen Akteurinnen und Akteuren wie zum Beispiel dem Jobcenter oder der Agentur für Arbeit.
Schon vor dem openTransfer CAMP hätten beide Initiativen die Idee gehabt, sich zusammenzutun und den sehr persönlichen Ansatz von SIR mit den IT-Know-how von Horizont zu verbinden. Herausgekommen sei ein zweistufiges Modell, das sowohl vor als auch nach der Einstellung der Newcomer Unterstützung böte. Voraussetzung seien zunächst ausreichende Kenntnisse des Deutschen oder Englischen. Seien diese sichergestellt, werde ein entsprechendes Profil erstellt und der Vermittlungsprozess angestoßen. Interessierte Unternehmen könnten sich ebenfalls anmelden.
Laut Horizont befänden sich Ende April 2016 150 Profile von Newcomern auf der Plattform. Bislang bestünde Kontakt zu ca. 30 Unternehmen im Raum München. Dabei sei es auch wichtig, in Erfahrung zu bringen, was letztere für Ansprüche hätten. Auch SIR habe bestehende Kooperationen mit einigen großen Unternehmen, schaue aber auch auf kleine Arbeitergeber: So habe bereits ein früherer Kamelpfleger an einen Bauernhof vermittelt werden können, wo er sich zwar nicht mehr um Kamele kümmere, dafür aber um heimische Tiere.
Social-Bee: Der Neustart für Geflüchtete mithilfe sozialer Zeitarbeit
Die dritte Initiative der Session ist eine soziale Zeitarbeitsfirma speziell für Menschen mit Fluchthintergrund. Ab Juli 2016 verfüge Social-Bee über die entsprechende Lizenz und könne direkt Personen mit Arbeitserlaubnis und Anerkennung anstellen. Eine weitere Voraussetzung sei ein abgeschlossener Integrationskurs und Deutsch auf dem Niveau A2. Der Fokus liege dabei zunächst auf dem Bereich „Lager und Logistik“ im Raum München – eine Expansion auf weitere Gebiete sei angedacht. Die Gründerinnen und der Gründer sehen die Zeitarbeit lediglich als Mittel zum Zweck, um eine Brücke zu schlagen: So würde beiden Seiten die Angst und Hemmschwelle genommen, um eine langfristige Kooperation zu gestalten. Ziel sei jeweils eine Überführung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis oder eine Ausbildung.
Die Zeitarbeitsfirma funktioniere dennoch nach einem klassischen Modell, inklusive Tariflohn. Der Gewinn werde jedoch reinvestiert. Zusätzlich legten die Macherinnen und Macher hohen Wert auf die Betreuung der Geflüchteten und kümmerten sich auch um Angebote zur Weiterqualifizierung und sogar gemeinsame Freizeitaktivitäten von Newcomern und Einheimischen. Bislang arbeiteten die Initiatorinnen und der Initiator auf den verschiedenen Ebenen mit großen Trägern, zum Beispiel der Caritas, zusammen. Ab Juli 2016 erfolge dann die aktive Akquisition weiterer Unternehmen und Organisationen. Die Kooperation mit den anderen Job-Projekten für Refugees in München sei dabei eng. So könnten Newcomer, die nicht im Rahmen der Zeitarbeit unterstützt werden könnten, an die anderen Job-Initiativen weitervermittelt werden.
jobs4refugees: Matching und Jobbörse für Geflüchtete
Die vierte Initiative sei mithilfe der Lean-Start-up-Methode entstanden. Dahinter stünde als Auftraggeber eine IT-Consulting-Firma. Die anfängliche Aufgabenstellung habe gelautet: „Finde Jobs für Geflüchtete.“ Mittlerweile sei die Plattform – auch aufgrund der schnellen Anpassungsfähigkeit – recht bekannt und schaffe im Schnitt zehn Vermittlungen pro Monat. Seit September 2015 seien siebzig Personen vermittelt worden. Dabei hätten die Betreiber auf eine Eignungsanalyse am Anfang gesetzt. Dadurch könnten sie die potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten kennenlernen und eruieren ob diese bereits vermittelbar seien oder noch eine Weiterbildung bezüglich der Sprache oder anderer Qualifikationen bräuchten. Teilweise fände auch eine Begleitung zum Bewerbungsgespräch statt.
Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass eine Vernetzung mit anderen Organisationen wichtig sei, um wirklich herauszufinden, welche technischen Weiterentwicklungen sinnführend seien. Die sorgfältige Pflege und der kontinuierliche Ausbau der Datenbank stünden derzeit im Fokus des Teams. Durch einige medienwirksame Auftritte sei die Jobbörse bei Unternehmen bekannt, sodass zurzeit weniger Kaltakquise betrieben werden müsse. Eine Herausforderung, die aber alle Initiativen gleichermaßen beträfe, beschreiben die Initiatorinnen und der Initiator so: Oft seien die Anforderungen der Unternehmen an die Newcomer zu hoch, indem sie beispielsweise umfangreiche Sprachkenntnisse voraussetzten.
Talente nutzen vs. Regulierungen
In der anschließenden Diskussion wurde immer wieder eine zentrale Frage gestellt: Wie finden wir heraus, was die Newcomer können und wollen, um die Qualifikation und Wünsche dann gewinnbringend für alle Seiten nutzen zu können? Ein Teilnehmer führt an, dass es dafür guter Methoden bedürfe. Eine solche könne das Modell vom Talenthaus sein: Hier würden Menschen, die sich in beruflichen Umbruchsituationen befinden, erfahren und erspüren, wo ihre Talente liegen indem sie verschiedene Berufe ausprobierten. Erste Versuche mit Geflüchteten seien erfolgreich gewesen.
Andere Ansätze, neben den schon genannten, umfassten verschiedene Berufsqualifikationstests, die digitalisiert Kenntnisse erfassten. Ein Beispiel dafür sei Future4Talents aus Hannover. Mithilfe eines Onlinedienstes werde ein entsprechender Test auch in anderen Sprachen als Englisch und Deutsch angeboten. Dabei läge der Fokus eher auf dem Interessenfeld der Newcomer und nicht so sehr auf den Fähigkeiten, die sie bereits mitbringen. Die Macher wollten mit dem vielseitig einsetzbaren Tool auch eine Schnittstelle zur Bundesagentur für Arbeit sein. Aufgrund einer notwendigen Zertifizierung und geringer finanzieller Ressourcen werde es leider noch nicht großflächig eingesetzt. Interessierte könnten sich aber gerne bei den Initiatorinnen und dem Initiator melden. Ein weiteres Manko der Online-Tests: Wie kommuniziere ich in die Community, die ich erreichen will, hinein und mache auf die bestehenden Angebote aufmerksam? Im besten Fall gebe es Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die die Verbreitung in den Sprachen der Geflüchteten mit voranbrächten.
Von staatlicher Seite bestünde an diesen Tools, vor allem aber an den Ergebnissen, durchaus Interesse. Die Teilnehmenden verweisen aber auf eines der größten Probleme: Der Datenschutz müsse stets genau beachtet werden. So seien auf der kommunalen Seite die wirklichen Bedarfe der Geflüchteten an Weiterbildungen und Art und Dauer der notwendigen Sprachkurse oft nicht bekannt. Auch Informationen zu den möglichen Jobinteressen würden bislang nicht systematisch erfasst. In diesem Zusammenhang wurde in der Runde festgehalten, dass es spannend wäre, anonymisierte Daten aus den Onlinetools zu generieren und an entsprechende verwaltende Stellen weiterzuleiten.
Die Problematik sei auch an Hochschulen präsent: So dürften keine Studierenden immatrikuliert werden, die nicht mindestens das Sprachniveau B1 erworben hätten. Ein weiteres Problem gebe es, wenn die Originalunterlagen und Zeugnisse nicht vorlägen. Dennoch böten viele Hochschulen für Geflüchtete Möglichkeiten, die i.d.R. im jeweiligen Immatrikulationsamt oder internationalen Büro koordiniert würden. Zudem gebe es vielerorts (studentische) Initiativen, die zum Beispiel Deutschkurse ehrenamtlich organisierten oder spezielle Vorlesungsreihen auf die Beine stellten. Eine dieser Initiativen sei „Uni für alle“, die bereits Erfahrung mit der Vermittlung von Geflüchteten an Universitäten habe und ein soziales Netzwerk in Freiburg im Breisgau betreibe.
Zuletzt wurde das Problem der Haftung angesprochen: Ein Standpunkt, der vertreten wurde war, dass es wenig brächte, die Personen an die Hand zu nehmen und sich für sie zu bewerben. Vielmehr müsse daran gearbeitet werden, dass bestehende Zeugnisse anerkannt würden und dass es kein K.O.-Kriterium sei, wenn das Deutsch noch nicht einwandfrei sitze. Es müsse vielmehr ein Grundverständnis für die besondere Lage geschaffen werden, aber man dürfe nicht für die Menschen sprechen oder sie gar entmündigen. Dazwischen läge ein schmaler Grad. Letztendlich hätten die unterschiedlichen Initiativen aber gezeigt, wie wichtig es sei, sich mit den Wünschen und Interessen der Newcomer auseinanderzusetzen. So wolle keine von ihnen für die Newcomer sorgen, sondern den Menschen eine Möglichkeit geben, langfristig komplett auf eigenen Beinen zu stehen.
jobs4refugees.org/ jobboerse-fluechtlinge.de
Foto: Andi Weiland / openTransfer.de
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Hallo liebe Johanna,
es freut mich, dass ihr auch unser Konzept von Future4Talents hier im Artikel beleuchtet habt.
Anders als beschrieben, liegen die Herausforderungen bei unserem Projekt derzeit aber eher in der Bürokratie und den Prozessen bei der Gründung der Firma.
Die angefachte Schnittstelle zur Agentur für Arbeit haben wir verworfen, da dort die Ängste von „draußen“ und die von dir angesprochene Zertifizierung/Bürokratie eine erfolgreiche Etablierung von uns blockierten. Der Datenschutz spielt bei uns eine extrem große Rolle, weswegen wir hier hohe Hürden bei der Nutzung des Portals gelegt haben.
Wir haben zwischenzeitlich die ersten Kommunen mit über 2500 Flüchtlingen als Piloten für unseren Start des Portals zu Mitte September gewinnen können und werden unsere Plattform als Teil des Integrationsprozesses der Newcomer in den deutschen Arbeitsmarkt etablieren.
In den letzten Monaten haben wir zudem u.a. von Google bzw. der Nethope Initiative 120 Chromebook erhalten, die wir vor Ort zur Nutzung unserer Plattform in den Kommunen einsetzen können, als auch Frau Schröder-Köpf Beauftragte für Migration und Teilhabe des Landes Niedersachsen als Schirmherrin für unser Projekt gewinnen können.
Wir sind gespannt wie es weitergeht und freuen uns auf einen weiteren Austausch.
Wenn du noch mehr Interesse an Future4Talents hast, können wir dir gerne weitere Informationen zukommen lassen.
Viele Grüße,
Thomas