Sozialunternehmertum – eine Einführung
Oliver Beckmann von der Social Entrepreneurship Akademie (SEA) auf dem open Transfer Camp am 12. Oktober in München
Eine Einführung für alle, die sich für gesellschaftliche Fragen und Innovationen interessieren und das Konzept von Social Entrepreneurship kennenlernen wollten. Oliver Beckmann gab einen Überblick über das gesamte Spektrum des sozialen Unternehmertums – vom Konzept und der Definition bis hin zu Beispielprojekten.
Oliver Beckmann, Mitarbeiter der Social Entrepreneurship Akademie, begann mit einer Verortung der Sozialunternehmen, die er zwischen Profit- und Non-Profit-Organisationen ansiedelt. Der Grundgedanke ist dabei der gesellschaftliche Mehrwert einer Idee. Zunächst steht das zivilgesellschaftliche Engagement im Fokus, erst dann wird ein geeignetes Geschäftsmodell gesucht.
Mehr als ein Hype
Sozialunternehmen sind keinesfalls ein Trendphänomen der letzten fünf bis sechs Jahre – ganz im Gegenteil entwickelte bereits vor etwa 150 Jahren Friedrich Wilhelm Raiffeisen das Genossenschaftsmodell, das auf dem Selbsthilfe- und Solidaritätsprinzip basiert, und nach dem heute viele Mikrokredit-Geber in Entwicklungsländern arbeiten.
Schon 1976 initiierte Muhammad Yunus in Bangladesch ein solches Programm, aus dem 1983 die Grameen Bank hervorging. Im Jahr 2006 erhielten Yunus und die Grameen Bank für die Bemühungen um die „wirtschaftliche und soziale Entwicklung von unten“ den Friedensnobelpreis. Beckmann nannte neben der Raiffeisenbank und Yunus noch weitere Beispiele für sozialunternehmerisches Denken und Handeln der vergangen Jahrzehnte, wie etwa das Montessori-Konzept oder die Gründung des Ashoka-Netzwerks 1980. Der Begriff Social Entrepreneurship wurde bereits 1972 das erste Mal im wissenschaftlichen Kontext verwendet. Allen Sozialunternehmen gemein ist dabei die Orientierung am gesellschaftlichen Mehrwert.
Jede Menge Best Practise
Nach Beckmann lassen sich sozialunternehmerische Programme und Ideen meist in den vier Themenfeldern Chancengleichheit/Integration, Bildung, Politik/Gesellschaft und Umwelt/Gesundheit verorten. Aus allen Bereichen stellte Beckmann verschiedene nationale und internationale Start-ups vor, die sich mit den genannten Herausforderungen auseinandersetzen und Lösungsansätze bieten. Zum Thema Chancengleichheit und Inklusion zeigte er das Beispiel wheelmap.org, eine Online-Plattform, die Informationen über rollstuhlgerechte Orte sammelt und öffentlich zugänglich macht. Mit einem einfachen Ampelsystem werden Orte entsprechend ihrer Rollstuhlgerechtigkeit markiert. Mit diesen Informationen soll es für mobilitätseingeschränkte Menschen einfacher werden, ihre Wege zu planen und so unabhängiger und einfacher am Alltag teilhaben zu können. Das Projekt des Vereins Sozialhelden ging 2010 an den Start und ist mittlerweile die größte Online-Plattform seiner Art.
Im Bildungsbereich präsentierte Beckmann die Idee von bookbridge. Die Stiftung setzt sich für ein weltweites Bildungsgleichgewicht ein und errichtet in der Mongolei und Kambodscha Lernzentren, die Menschen im ländlichen Raum Zugang zu Bildung ermöglichen. Gleichzeitig dienen die Zentren zur Weiterbildung von Führungskräften aus Europa. Anhand von bookbridge erläuterte Beckmann den Prozess eines Sozialunternehmens, bei dem zunächst das zivilgesellschaftliche Engagement im Vordergrund steht und erst anschließend über ein mögliches Geschäftsmodell nachgedacht wird. Neben der Errichtung von Lernzentren erhalten Mitarbeiter von Unternehmen die Möglichkeit, sich am Engagement zu beteiligen und damit weiterzubilden. Die Unternehmen stellen ihre Mitarbeiter nicht nur frei, sondern bezahlen bookbridge auch noch für die Durchführung des Programms.
Das Beispiel für den Bereich Politik ist die Online-Plattform abgeordnetenwatch.de, bei der ein ähnlicher Prozess zu beobachten ist. Zunächst war die Internet-Plattform lediglich als Ort gedacht, der für Bürger die Möglichkeit eröffnet, Abgeordneten verschiedener Parlamente öffentlich Fragen zu stellen. Zusätzlich ist die berufliche Qualifikation, Mitgliedschaft in Ausschüssen, eine etwaige Nebentätigkeit sowie das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten bei wichtigen Parlamentsentscheidungen öffentlich einsehbar. Für die Angeordneten selbst gibt es die Möglichkeit, sich mit Foto und Kurztext vorzustellen – dies allerdings nur gegen Bezahlung.
Für den Bereich Umwelt und Gesundheit zog Beckmann das Sozialunternehmen Polarstern heran. Dieses Start-up ist Deutschlands nachhaltigster Energieversorger und beliefert Kunden mit Ökostrom und Ökogas. Zusätzlich unterstützt das Unternehmen für jeden Kunden eine Familie in einem Entwicklungsland beim Umstieg auf erneuerbare Energien.
Geld verdienen mit sozialen Innovationen?
Einige Zuhörer folgten dem Gedanken, zunächst das zivilgesellschaftliche Engagement zu fokussieren, sahen aber die Schwierigkeit, daraus auch eine Geschäftsidee zu entwickeln. Es stellte sich daher die Frage: Wie kann man mit der Adressierung einer sozialen Herausforderung Geld verdienen? Beckmann sah diesen Schritt ebenfalls als sehr schwierig an. Er verwies auf einen Prozess, der „vom Problem über die Idee zur Lösung“ reicht und riet dazu, das Denken, Handeln und die Methoden an die Idee des gesellschaftlichen Mehrwerts anzudocken. Genau dies sei die Krux: ein hybrides Finanzierungs- und Geschäftsmodell zu finden. Hierbei handelt es sich um einen sehr individuellen Prozess, da jeder Social Entrepreneur sein eigenes Modell benötige, um z.B. Förderer und Sponsoren zu finden und zu binden.
Eine andere Teilnehmerin schloss mit dem Gedanken, dass sie ständig abwägen muss, ob sie sozial oder wirtschaftlich denkt und handelt. Beckmann gab zu bedenken, dass visionäre Menschen genau das schon immer gut konnten.
Foto: Florian Hammerich