Resilienz: Wie Menschen Krisen bewältigen

Die seelische Widerstandskraft der Menschen hat einen Namen: Resilienz. Sie gilt als Erfolgsfaktor in Lebenskrisen. Für Projektkoordinator:innen von Patenschafts- und Mentoringorganisationen ist diese Superkraft unerlässlich. Denn nur wer sein eigenes psychisches Immunsystem stärkt, kann auch für andere stark sein.

Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Dieser Ausspruch von Friedrich Nietzsche gilt als Durchhalte-Parole in schweren Zeiten. Und die Widrigkeiten des Lebens können jeden treffen: Jobverlust, Trennungen, Trauerfälle. Unvorhersehbare Schicksalsschläge und traumatische Ereignisse stürzen tagtäglich Menschen in tiefe Krisen: Doch nicht jede:r trägt anhaltende psychische Störungen oder Stress-Erkrankungen davon. Es gibt Menschen, die persönliche Krisen ohne Schaden überstehen, die in stressigen Situationen gelassen bleiben, an Belastungen nicht zerbrechen. Alltagssprachlich gelten diese Menschen als robust oder zäh. Was sie eint, ist die Kraft der Resilienz. Das Wort bezeichnet die psychische Widerstandskraft der Menschen, ihre Fähigkeit, belastende Situationen und Krisenzeiten mithilfe eigener Ressourcen durchzustehen und trotz großem Drucks psychisch gesund zu bleiben.

Immunsystem für Krisenzeiten fit machen

Die gute Nachricht: Resilienz lässt sich trainieren – und bis ins hohe Alter ausbauen. Sollen wir also noch leistungsfähiger und belastbarer werden? „Nein, das bedeutet keinesfalls, dass Menschen noch mehr aushalten, wissen und können müssen, dass es immer noch höher, schneller und weiter gehen muss“, sagt Martina Kohrn. Als freiberufliche Konflikt- und Resilienz-Trainerin stärkt sie Teams und Mitarbeitende für ihren Arbeitsalltag und unterstützt sie auf der Lösungssuche bei Konflikten.

Auf dem Bild ist Martina Kohrn mit verschränkten Armen zu sehen

Die Expertin, die viele Jahre in der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet hat, kennt die Krisen, die auf Menschen einprasseln können. „Es gibt große Krisen, wie Tod und Scheidung, aber auch kleine Krisen, in denen beispielweise hohe Erwartungen und Stress, den Menschen das Leben schwer machen.“ Und dann gibt es da noch mittlere Krisen, wie sie Martina nennt, in denen sich das Leben und die eigene Lebenswelt plötzlich verändern, beispielsweise durch einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatzwechsel. Während der Corona-Zeit habe das Leben für viele Menschen aus einem Sammelsurium von kleinen, mittleren und großen Krisen bestanden. „Das Miteinander hat sich von einem Tag auf den anderen verändert, die Arbeitswelt, das Vereinsleben, die gesamten Lebensbedingungen.“ Das verursache Stress, der im schlimmsten Fall krank machen kann.

Wie Koordinator:innen mental gesund bleiben

Auf dem Bild ist Martina Kohrn beim Workshop der Patenschaften-Tour in Köln zu sehen. Sie steht und zeigt auf einen großen Display.

Auch bei Projektkoordinator:innen von Patenschafts- und Mentoringorganisationen steht das Thema Resilienz ganz oben auf der Agenda. Im November hat Martina im Rahmen des Qualifizierungsprogramms „Patenschaften auf Tour“ in Köln für sie einen Workshop zu dem Thema gegeben. So sinnstiftend und vielfältig die Tätigkeit von Koordinator:innen ist, so anspruchsvoll kann sie auch sein. Sie müssen eine vorgegebene Anzahl an Patenschaften abschließen, mit Ehrenamtlichen interagieren, Konflikte lösen. Hinzu kommen prekäre Arbeitsverhältnisse und immer wiederkehrende Förderanträge, die rechtzeitig gestellt werden müssen, damit Projekte weiterlaufen. Der Stress schröpft die Energiereserven der Koordinator:innen im Eiltempo. Deshalb ist das Stärken der eigenen Widerstandskraft so wichtig.

„Resilienz hat total viel mit Selbstreflexion zu tun – wie eine kleine Innenschau unserer Selbst“, sagt die Expertin. Im Zentrum stehe die Frage: Wo sind meine roten Knöpfe? „Wer sich bewusst macht, was sie oder er will und wo die eigenen Grenzen liegen, kann sich auf viele Situationen vorbereiten.“ Sich jeden Morgen erneut über die dreckige Kaffeetasse des Kollegen aufzuregen, bringe nichts. „Wer sich präventiv Gedanken macht und für sich eine Lösung definiert, sei es nun die Situation zu akzeptieren oder den Kollegen darauf anzusprechen, reduziert den täglichen Stress.“ In ihren Seminaren beobachtet Martina oft, wie wichtig der Austausch untereinander ist. „Den Menschen tut es gut, sich auszutauschen und zu wissen, den anderen geht es genauso, sie sind nicht allein in dieser Situation.“ Jammerstimmung? Fehlanzeige. „Weil wir gemeinsam gucken, wie wir in die Zukunft gehen können.“ Sie wirbt für einen realistischen Optimismus und glaubt an die Kraft der positiven Gedanken, ohne dabei in eine rosarote Welt abzutauchen.

Love it, change it or leave it

„Gerade im sozialen Sektor ist es für die Menschen wichtig, nicht nur die anderen Menschen im Fokus zu haben, sondern auch sich selbst.“ Dazu gehört auch, die eigenen Probleme, nicht an denen der anderen zu messen. „Gegenüber Menschen, die Angst haben müssen in ein Kriegsgebiet abgeschoben zu werden oder daraus geflüchtet sind, wirken die eigenen Probleme immer erstmal klein“, sagt Martina, „aber sie lassen sich nicht vergleichen. Und am Ende können Menschen andere nur stärken, wenn sie selbst gestärkt sind.“

Wie das geht, zeigt Martina den Teilnehmenden mit Hilfe kleiner Übungen in ihren Seminaren und trainiert damit Verhaltensweisen, die widerstandsfähig und krisenfest machen. Eine ihrer Lieblingsübung ist eine Achtsamkeitsübung, die ALI heißt und in stressigen Situationen einen Puffer zwischen Aktion und Reaktion schaffen soll. Sie geht ganz leicht: Atmen, lächeln, innehalten – und erst dann reagieren.

Das Bild ist ein Foto von einem Flipchart-Papier. Darauf steht Atmen, Lächeln, Innehalten

Auch eine Übung mit drei Erbsen nehmen viele Teilnehmende gerne mit nach Hause. Wer sich morgens drei Erbsen in die linke Hosentasche steckt und bei jeder positiven Erfahrung, die Erbse in die rechte Hosentasche wechselt, kann sich vor dem Schlafengehen leicht an die angenehmen Erlebnisse des Tages erinnern, so die Resilienz-Expertin. „Wir Menschen tendieren dazu, uns Negatives besser zu merken als Positives“ sagt Martina, „dabei sollten wir öfter den Blick auf die schönen Dinge im Leben richten.“

Martina hat einen Zaubersatz, der – unterschiedlich betont – alle relevanten Fragen stellt: Will. Ich. Das? „Für jedes Handeln sollte die Entscheidung bei mir liegen, denn wenn ich mich bewusst für etwas entscheide, habe ich sofort eine ganz andere Haltung dazu und bin entspannter.“ Denn auch wenn Menschen in ihrem Leben oft fremdbestimmt sind, haben sie doch immer eine Wahl. Ganz nach dem Motto: Love it, change it or leave it. „Entweder ich akzeptiere die Dinge, wie sie sind, ich ändere meinen Bezug zu der Situation oder aber ich verlasse sie“, sagt Martina, „diese Perspektive ist ein riesengroßer Gamechanger, weil die Menschen nicht mehr in der Opferhaltung verharren, sondern wieder Gestalter:in des eigenen Lebens werden und ihr Glück und Wohlbefinden unabhängig von äußeren Einflüssen stärken.“

Artikel: Kristin Kasten

Christine Langer

Christine Langer ist bei der Stiftung Bürgermut als Projektkoordinatorin bei openTransfer #Patenschaften tätig. Sie studierte Internationale Entwicklung und Koreanologie in Wien und Seoul (Südkorea) sowie Gender Studies in Berlin (MA Gender Studies). Während ihrem Studium begann sie beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) zu arbeiten wo sie nach ihrem Abschluss das Mentor:innen Programm für queere Geflüchtete leitete. Privat engagiert sie sich im Bereich (Queer-)Feminismus und Fußball.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert