Prävention durch Rechtsanspruch auf §§ 67 ff. SGB XII
Session-Dokumentation – openTransfer CAMP wohnen
Session von: Jan (Organisation Sewo – Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigung)


In dieser Session erläuterte Jan von der Organisation SeWo, welche Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 ff. SGB XII) es gibt, wie sie – auch präventiv – Wohnungslosigkeit verhindern können und warum viele Betroffene den damit verbundenen Rechtsanspruch oft gar nicht kennen.
Jan begann mit der Feststellung, dass das öffentliche Bild von Wohnungslosigkeit häufig einseitig geprägt ist (z.B. „älterer, obdachloser Mann, der auf der Straße lebt“) und damit große Teile der Betroffenen unsichtbar bleiben. Tatsächlich können sehr unterschiedliche Lebenslagen (Gewalt, Sucht, Verschuldung, familiäre Krisen etc.) zu Wohnungslosigkeit führen. Ebenso verschwindet in der öffentlichen Wahrnehmung, dass es einen Rechtsanspruch auf Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII gibt.
1. Rechtsanspruch und Anwendungsbereiche
- Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten: Diese Hilfen greifen, wenn Menschen in sozialen Notlagen aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, ihre Probleme zu bewältigen, und keine anderen Leistungen (z.B. aus anderen Sozialgesetzbüchern) zuständig sind.
- Breites Spektrum an Lebensumständen: Ungesicherte wirtschaftliche Grundlagen, fehlender oder unzureichender Wohnraum, drohende Obdachlosigkeit, gewaltgeprägte Lebensverhältnisse oder Entlassung aus geschlossenen Einrichtungen (z.B. JVA, Klinik) können einen Hilfebedarf auslösen.
2. Bedeutung und Chancen der §§ 67 ff. SGB XII
- Prävention von Wohnungslosigkeit: Bereits drohende Wohnungslosigkeit kann oftmals abgewendet werden, wenn rechtzeitig präventive Maßnahmen nach §§ 67 ff. SGB XII greifen (etwa durch Übernahme von Mietschulden oder die Finanzierung von Entrümpelungskosten).
- Weit gefasster Handlungsspielraum: Die Bestimmungen erlauben individuell zugeschnittene Lösungen (z.B. ambulante Beratungsstellen, stationäre Einrichtungen, nachgehende Hilfe). Das eröffnet Trägern und Einrichtungen die Möglichkeit, differenzierte Unterstützungsangebote aufzubauen.
- Kombination mit anderen Hilfen: In der Diskussion wurde betont, dass Entlassungsmanagement (z.B. aus der JVA oder Klinik) bereits vor §§ 67 greifen sollte, um ein Überfrachten dieser Hilfen zu vermeiden. Dennoch kann die Hilfe nach §§ 67 ff. eine wichtige Brücke bilden (z.B. bei Schuldensanierung oder Begleitung zur Beratung).
3. Kritik und Herausforderungen
- Fehlende Sichtbarkeit und Wissen: Viele betroffene Menschen (und auch Fachkräfte) kennen den Leistungsanspruch kaum. Die Folge ist, dass sich Wohnungslosenhilfe in der Praxis oft auf Spenden, Charity und Stiftungen stützt, anstatt die rechtlich verankerten Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
- Einseitiges Bild von Wohnungslosigkeit: Suchmaschinen und Medien vermitteln häufig stereotype Darstellungen (z.B. Bilder von Papphütten und abgerissenen Handschuhen). Damit werden Gruppen wie junge Frauen, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen oder Gewaltopfer ausgeblendet.
- Verwaltungspraktische Umsetzung: Obwohl die §§ 67 ff. SGB XII recht offen formuliert sind, entscheiden Kommunen und Landessozialbehörden letztlich über die Bewilligung. Je nach Region kann es also unterschiedliche Hürden und Genehmigungspraxen geben.
4. Beispiele aus der Praxis
- Hannover: Dort gibt es nur selten Ablehnungen von § 67-Anträgen, da man den Handlungsspielraum breit auslegt und möglichst präventiv agiert.
- Sewo: Jan erwähnte Angebote seiner Organisation (Selbstbestimmtes Wohnen), die Menschen mit Beeinträchtigungen helfen, frühzeitig Hilfen zu beantragen und so Wohnungslosigkeit zu vermeiden.
- Niedersachsen: Stationäre Einrichtungen, Tagesaufenthalte und ambulante Casemanagement-Ansätze können teils mithilfe der §§ 67 ff. aufgebaut und finanziert werden.
Fazit
Die §§ 67 ff. SGB XII bieten ein breites Hilfespektrum, das nicht nur akute Wohnungslosigkeit abfedern, sondern sie idealerweise ganz verhindern kann. Allerdings sind die Regelungen vielen Menschen (und selbst einigen Fachkräften) nicht hinreichend bekannt. Weiterhin hängt viel von regionalen Entscheidungsstrukturen ab. Die Session endete mit dem Appell, mehr Sichtbarkeit für diesen Rechtsanspruch zu schaffen und stereotypes Denken über „die Wohnungslosen“ zu hinterfragen, um die Vielfalt der Betroffenen und ihre Bedürfnisse besser abzubilden.s viele Probleme in der Praxis struktureller Natur sind und sich nicht allein durch föderale Programme lösen lassen. Dennoch zeigten Beispiele – etwa in einigen Kommunen mit Single-Unterbringung oder Housing-First-Modellen – dass Verbesserungen möglich sind. Der NAP will bis 2030 deutliche Fortschritte erzielen, auch wenn sich die Frage stellt, inwieweit er verbindlich durchgesetzt werden kann. Einig war man sich: „Besser spät als nie“ – Deutschland muss sich nun verstärkt für die Überwindung von Wohnungslosigkeit einsetzen und dabei möglichst viele Akteur:innen ins Boot holen.
Ein Kommentar bei “Prävention durch Rechtsanspruch auf §§ 67 ff. SGB XII”