Eine sächsische Kleinstadt wächst zusammen – und über sich hinaus

Rechtsextremist:innen wollten Ostritz durch ein Festival und Netzwerktreffen vereinnahmen. Doch Bürger:innen und die Stadt hielten mit einem Friedensfest der Demokratie dagegen. Heute fragen andere Kommunen nach dem Ostritzer Erfolgsrezept.

Selten schaffen es kleine Gemeinden in die großen Schlagzeilen. Ostritz ist es gelungen. Eine Spontanaktion gegen Rechts hat die 2.300-Seelen-Stadt im sächsischen Landkreis Görlitz berühmt gemacht. „Bürger kaufen Neonazis das Bier weg“, titelte das Magazin „Der Spiegel“. Und auch internationale Medien blickten 2019 plötzlich in die sächsische Provinz, in der sich Widerstand gegen ein Treffen von Rechtsextremist:innen regte. 

„Ostritz ist durch den Alkohol-Wegkauf-Protest ein Begriff geworden“, erinnert sich Georg Salditt. Ihn bewegt die Szene noch immer, die sich vor zwei Jahren abgespielt hat. Er selbst lud damals mit einem Freund gut 50 Kisten Bier auf einen Pick-up, um das Rechtsrock-Festival „Schild und Schwert“ trockenzulegen. Viele Ostritzer:innen taten es ihm gleich. Die Versammlungsbehörde des Landkreises hatte zuvor per Gerichtsentscheid ein Alkoholverbot auf dem Festivalgelände erwirkt. Vor Konzertstart transportierten Polizist:innen 4.000 Liter Bier ab und Nachschub gab es keinen mehr in der Region, alles ausverkauft. Ein weiteres Mal hielten Zivilgesellschaft und Verwaltung zusammen – gegen die Vereinnahmung ihrer Stadt durch Rechtsextremist:innen.

Begonnen hat diese Geschichte Ende 2017. Damals landete eine ungewöhnliche Veranstaltungsanmeldung auf dem Tisch der ehrenamtlichen Bürgermeisterin Marion Prange (parteilos). „Schild und Schwert – davon hatte ich noch nie gehört. Ich habe mich über den Veranstalter informiert und gleich gedacht, dass wir als Stadt aktiv werden müssen.“ Hinter dem Event steckte Thorsten Heise, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD. Seiner Einladung auf ein Hotelgelände in Ostritz folgten fünf Monate später Neonazis aus ganz Europa. Das Datum: der 20. April, der Geburtstag Adolf Hitlers. Weitere Konzerte und rechte Kampfsportevents komplettierten das Festival.

Kooperation als Schlüssel zum Erfolg

Als Reaktion formierte sich innerhalb weniger Wochen die Initiative Ostritzer Friedensfest. Zunächst ging es darum, dass der zentrale Markt nicht zur Bühne der Rechten werden durfte, erinnert sich Marion Prange. „Wir wollten Kundgebungen oder Demonstrationen verhindern. Deshalb habe ich unser Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal gebeten, eine Veranstaltung anzumelden.“ In der Begegnungsstätte ist auch Georg Salditt tätig. Und wie die Bürgermeisterin hatte er einen Plan: „Wir waren ein paar Leute, die die Stadt nicht den Rechten überlassen wollten. Es gab die Idee, mit dem Ostritzer Spieleverein ein Fest auf dem Markt zu veranstalten.“ Neben der Stadtverwaltung und dem Begegnungszentrum vervollständigte eine Gruppe Ehrenamtlicher die Organisation des ersten Ostritzer Friedensfests. 

Für Georg Salditt ist diese Kooperation der Schlüssel zum Erfolg. Denn: Eine Institution wie das Begegnungszentrum könne zwar die Finanzierung stemmen, aber kein Großevent mit Leben füllen. „Ehrenamtliche können hingegen inhaltlich viel beitragen, stoßen aber wiederum an ihre Grenzen, wenn es darum geht, ein Fest mit mehreren Tausend Leuten zu organisieren.“ Die Stadtverwaltung selbst sei zwar an das Neutralitätsgebot gebunden, könne aber Bürger:innen bei Aktionen unterstützen und mit Behörden verhandeln. „Hier trägt jeder bei, was er kann“, so Salditt.

Man sieht viele Menschen in einem Zelt. Ein Orchester spielt Musik.
Ostritzer Friedensfest | Fotocredit: Marion Prange

Der Grundgedanke: Selbst machen statt machen lassen 

Mit Unterhaltung Haltung zeigen – auf diese Formel bringt Bürgermeisterin Marion Prange Motivation und Zweck des Friedensfests. Vereine und zivilgesellschaftliche Initiativen organisieren ein buntes Programm. Konzerte und Mitmachaktionen treffen auf Debattenformate und Gottesdienste. Es gehe nicht darum, gegen Rechts zu mobilisieren oder sich an den Nazis abzuarbeiten, sondern für demokratische Werte einzustehen. Dabei können die Ostritzer:innen und alle Unterstützer:innen ihre eigenen Ideen umsetzen.

Über die Jahre sei es so gelungen, immer mehr Menschen zu gewinnen. Ein Beispiel für eine besonders gemeinschaftsstiftende Aktion ist der Ostritzer Friedenslauf. Die Idee: Jede Runde, die ein Mensch um den Markt läuft, generiert einen Euro. Egal, ob mit Kinderwagen, Walking-Stöcken oder Rollator. Das gesammelte Geld fließt in ein Naziaussteigerprojekt. Sich aktiv einbringen zu können, das mache Mut, sagt Georg Salditt dazu. „Es ist ein gutes Gefühl zu erleben, dass ich als einfacher Bürger etwas über meinen kleinen sozialen Raum hinaus bewegen kann.“ 

Es braucht einen Raum für kontroverse Debatten

„Sie müssen sich vorstellen: Auf dem Markt ist das Friedensfest mit 3.000 Teilnehmenden, 300 Meter weiter feiern 1.000 Rechtsextreme, 200 Meter weiter macht die linke Szene mit 600 Personen eine Veranstaltung. Das alles begleitet von 3.000 Polizist:innen. Es war Ausnahmezustand in Ostritz“, so Marion Prange. „Da gab es Ängste und Vorbehalte. Wir mussten immer das Gespräch suchen und uns versichern, dass wir ein gutes Maß finden, um den Rückhalt nicht zu verlieren.“ So gab es etwa während der Wochenmärkte ein „mobiles Wohnzimmer“. Hier sollten Ostritzer:innen Sorgen direkt ansprechen. „Das wurde gut angenommen. Es gab fruchtbare Gespräche, aber auch Respektlosigkeiten. Dann hilft debattieren nicht mehr und man muss konträre Positionen auch einfach mal stehen lassen“, berichtet sie.

Man schaut auf mehrer Stände eines Dorffestes. In der Mitte des Bildes sitzen zwei Frauen und knüpfen mit Kindern Freundschaftsbänder.
Ostritzer Friedensfest | Fotocredit: Initiative Ostritzer Friedensfest

Noch heute stünde der Ort nicht geschlossen hinter dem Fest. Aber Zuspruch, Beteiligung und Zusammenhalt seien stetig gewachsen. Bei so einem Format Gesicht zu zeigen, sei ohnehin nicht selbstverständlich. Darum nennt die Bürgermeisterin die Arbeit von bis zu 500 Ehrenamtlichen – das sind weit mehr als zum Start 2018 – mutig und couragiert. Gefördert wird das Projekt neben dem Land Sachsen auch von der ZEIT-Stiftung. Es hat sich zu einer Plattform für vielfältige Veranstaltungen entwickelt, vom Open-Air-Kino bis zur Modenschau („bunt und global statt braun und radikal“). 

Sächsisches Erfolgsmodell ist gefragt

Die Hingabe der Ostritzer:innen wurde inzwischen vielfach geehrt. Unter anderem mit dem Deutschen Engagementpreis. Auch das schafft Aufmerksamkeit und führt Debatten fort. Längst strahlt die Aktion über die Region hinaus. Ostritz ist zu einer Modellstadt des gesellschaftlichen Zusammenhalts geworden. Das macht sie nicht nur interessant für Rückkehrer:innen in den ländlichen Raum, sondern auch für andere Kommunen wie etwa das Bündnis „Wir sind Kandel“ aus Rheinland-Pfalz. Einen Export des Friedensfests kann sich Marion Prange dennoch nicht 1:1 vorstellen. Jede Gemeinde müsse eigene Potenziale wie Vereinsstrukturen nutzen, um authentisch Zusammenhalt zu fördern und zu leben. „Aber Wissen und Erfahrungen teilen wir natürlich und unterstützen gern immer.“

http://ostritzer-friedensfest.de

Der Artikel stammt aus dem E-Book „Zusammenhalt“. Geschrieben wurde er von Melanie Skurt.


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