Bürgerstiftungen als Projektgeber

 

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Bürgerstiftungen modernen Typs sind eine noch relativ junge Stiftungsform in Deutschland. Durch die Vernetzung mit dem lokalen Umfeld und die Einbindung vieler Stifterinnen und Stifter können sie leicht bürgerschaftliches Engagement vor Ort mobilisieren und selbst initiierte Projekte an andere Bürgerstiftungen weitergeben.

 

Der Projekttransfer durch Bürgerstiftungen

Bei der Entwicklung neuer Projekte greifen Bürgerstiftungen vermehrt auf die Erfahrungen anderer Bürgerstiftungen zurück. Die Anpassung an lokale Gegebenheiten ist dabei stets notwendig für den Erfolg des Projekts. So sind zum Beispiel für die Durchführung eines Bürger-Brunchs in Braunschweig, einer Stadt mit 240.000 Einwohnern, andere logistische Voraussetzungen notwendig, als bei der Organisation eines Bürger-Brunchs in Celle, einer Stadt mit ca. 70.000 Einwohnern.

Bürgerstiftungen stehen in der Regel nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Sie bauen darüber hinaus vielfach auf dem freiwilligen Engagement der Mitwirkenden auf. Wenn also lediglich knappe personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, so sollten diese so effektiv wie möglich eingesetzt werden. Durch die systematische Übernahme von Projektideen können die Entwicklungskosten so gering wie möglich gehalten werden. Obwohl Projekte in der Regel einen lokalen Fokus und eine lokale Prägung haben, haben Bürgerstiftungen oftmals die gleichen Förderschwerpunkte.

 

Praxisbeispiel I:

Erfahrungen weitergeben durch die offene Verbreitung

Die Bürgerstiftung Braunschweig veranstaltet seit 2005 alle zwei Jahre den Bürger-Brunch, bei dem an einer großen Tafel in der Innenstadt Braunschweigs Bürger zum gemeinsamen Frühstücken zusammenkommen. Die Veranstaltung zieht jedes Mal über 10.000 Braunschweiger an. Die Bürger selber übernehmen an dem Tag die Verantwortung, indem sie für das Essen, die Getränke, die Gestaltung ihres Tisches sowie für die Sauberkeit in der Stadt zuständig sind. Dadurch wird nicht nur das Gemeinschaftsgefühl der Stadt gestärkt. Die Bürger „mieten“ einen Tisch für eine Gebühr von 44 bzw. 55 Euro. Die Erlöse des Tages kommen Projekten der Bürgerstiftung zugute.
Nach dem großen Erfolg in Braunschweig kamen bald Anfragen aus anderen Städten, die ihrerseits gerne einen Bürger-Brunch organisieren wollten. Zwar scheint der Bürger-Brunch auf den ersten Blick einfach durchzuführen, dennoch müssen Logistik und Planung gut durchdacht sein, damit das gewünschte Ziel erreicht wird. Daher hat sich die Bürgerstiftung Braunschweig entschieden, interessierte Bürgerstiftungen durch persönliche Beratung und die Weitergabe von relevanten Unterlagen zu unterstützen. Mittlerweile gibt es den Bürger-Brunch in vielen Städten.

Um festzustellen, ob ein potenzieller Projektnehmer die nötigen Kapazitäten zur Durchführung des Bürger-Brunchs hat, führt die Bürgerstiftung Braunschweig zunächst ein längeres Telefonat mit ihm. Im nächsten Schritt erhält der Projektnehmer dann Dokumente der Bürgerstiftung Braunschweig, die für die Durchführung des Brunchs wichtig sind, wie zum Beispiel Musterbriefe, Musterpläne und Checklisten. In einer persönlichen Beratung werden zusätzlich die wichtigsten Schritte und Empfehlungen zum Ablauf besprochen. Diese sind allerdings nicht bindend, sondern dienen als Richtlinien. Die Anpassung an lokale Gegebenheiten ist für die Durchführung des Bürger-Brunchs von entscheidender Bedeutung. So sollte der Brunch z.B. im Herzen einer Stadt stattfinden. Das kann die Fußgängerzone sein, aber auch ein idyllisch gelegener See oder der Stadtpark.

[quote] „Der Bürger-Brunch ist vor allem geeignet für junge Stiftungen, die nicht so viel Geld haben, aber trotzdem eine Aktion durchführen möchten, um Empathie in der Stadt zu wecken.“ Karin Heidemann-Thien, Bürgerstiftung Braunschweig[/quote]

Was hätte man zu Beginn besser machen können?

[quote] „Bislang gibt es nur eine sehr ausführliche Checkliste, die wir im Rahmen der Beratung weitergeben. Im Laufe des persönlichen Gesprächs erkenne ich mittlerweile, ob das Projekt bei einer Bürgerstiftung funktionieren wird oder nicht.“ Karin Heidemann-Thien, Bürgerstiftung Braunschweig[/quote]

Der Transfer des Bürger-Brunchs durch die Bürgerstiftung Braunschweig ist ein Beispiel für die offene Verbreitung eines Projekts. Der Projektgeber berät und unterstützt den Projektnehmer bei dessen Umsetzung. Er gibt seine Erfahrungen und sein Wissen im Rahmen eines persönlichen Gesprächs sowie durch Checklisten, Musterbriefe, ein Projekthandbuch oder Ähnliches weiter. Jedoch beinhaltet die Weitergabe des Projekts keine festgelegten Vorgaben, wie das Projekt umgesetzt werden soll. Vielmehr zieht sich der Projektgeber nach der anfänglichen Beratung größtenteils zurück und der Projektnehmer setzt das Projekt autark um.
Bei dieser Methode liegt der Schwerpunkt also weniger auf der Einhaltung vorgegebener Standards als vielmehr auf der lokalen Anpassung eines Projekts. Ein großer Vorteil der offenen Verbreitung ist, dass durch diese Methode eine Bürgerstiftung ein Projekt mit relativ geringem Aufwand für eine Vielzahl anderer Bürgerstiftungen zugänglich machen kann. Allerdings hat die Projekt gebende Bürgerstiftung dabei nur wenig Kontrolle darüber, ob das Projekt auch so übernommen wird, wie ursprünglich intendiert, da die Richtlinien und Empfehlungen nicht bindend sind. Im schlimmsten Fall kann es also passieren, dass sich die schlechte Kopie eines Projekts auch negativ auf das Ursprungsprojekt auswirkt.

 

Praxisbeispiel II:

Verbreitung durch den Zusammenschluss in einem Netzwerk

Mehr Kontrolle darüber, wer das Projekt wie übernimmt, hat beispielsweise die BürgerStiftung Region Ahrensburg, deren EhrenamtMessen mittlerweile in ganz Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen sowie in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt werden. Ziel dieser Ehrenamt-Messen ist es, die Vielfalt des bürgerschaftlichen Engagements öffentlich bekannter zu machen und mehr Bürger für freiwillige Aktivitäten zu gewinnen. So können sich Vereine, Stiftungen und Initiativen vorstellen sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger sich über Angebote für bürgerschaftliches Engagement informieren. Zudem gibt es Diskussionsveranstaltungen zu Fragen des Engagements. Die auf regionaler und Landesebene regelmäßig stattfindenden EhrenamtMessen sind ein großer Erfolg. So werden die Messen jährlich von über 50.000 Menschen besucht.

Die Medienpräsenz der ersten EhrenamtMessen in Ahrensburg führte zu Anfragen aus anderen Städten, die Beratung zur Durchführung solcher Veranstaltungen wünschten. Hieraus entstand eine abgestimmte und konzertierte Aktion in Form eines regionalen Netzwerks. So werden Institutionen, die sich an den EhrenamtMessen als Messeveranstalter beteiligen möchten, in Seminaren methodisch eingewiesen und führen als Mitglieder des EhrenamtNetzwerks ihre Veranstaltungen basierend auf gemeinsamen Rahmenbedingungen durch. Der Aufbau der EhrenamtMessen ist immer gleich: Es gibt einen lokalen Schirmherrn, eine Auftakt- und Abschlussveranstaltung sowie ein kulturelles Rahmenprogramm und Diskussionsrunden. Zwar basiert die Zusammenarbeit nicht auf einem Vertrag, doch gibt es Standards, die eingehalten werden müssen. Die Detailausgestaltung der Messen variieren nach dem jeweiligen lokalen Kontext.

Die Zusammenarbeit im Netzwerk ist zudem durch Arbeitsteilung gekennzeichnet, bei der die BürgerStiftung Region Ahrensburg sich vor allem um die überregionalen Öffentlichkeits-, Medien- und Fundraising-Aktivitäten sowie die Qualitätskontrolle und Koordination des Netzwerks kümmert. Die lokalen Organisationen sind insbesondere für die Durchführung der EhrenamtMessen vor Ort sowie die Kontaktaufnahme mit lokalen Förderern und der lokalen Presse verantwortlich.

Neben dem EhrenamtNetzwerk Schleswig-Holstein gibt es ein entsprechendes Netzwerk der EhrenamtMessen Mecklenburg-Vorpommern, das dort die Aktivitäten der durchführenden Organisationen in den jeweiligen Regionen koordiniert, sowie die EhrenamtMessen in Hamburg und Bremen. Die Netzwerke stimmen sich in einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe unter Leitung der BürgerStiftung Region Ahrensburg ab.
[quote]„Ein Vorteil – nicht nur für die Projektnehmer sondern auch für uns – ist die größere Aufmerksamkeit von Medien und Politik durch unseren einheitlichen Auftritt auf der EhrenamtMesse. Die eigenen Aktivitäten bekommen einfach einen anderen Stellenwert, wenn sie in einem solchen Kontext stattfinden.“ Dr. Michael Eckstein, BürgerStiftung Region Ahrensburg[/quote]

Was hätte man zu Beginn besser machen können?

[quote]„Sicherlich wäre ein Projekthandbuch hilfreich gewesen. Das holen wir jetzt nach, indem wir unsere Erfahrungen, die wir über die Jahre gemacht haben, verschriftlichen. Allerdings ist ein Handbuch kein Ersatz, sondern Ergänzung für das persönliche Gespräch.“ Dr. Michael Eckstein, BürgerStiftung Region Ahrensburg[/quote]

Das Beispiel der EhrenamtMessen zeigt eine Methode des systematischen Projekttransfers, die, ähnlich der offenen Verbreitung, nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung basiert. Jedoch besteht auch nach der Übergabe des Projekts eine enge Kooperation zwischen Projektgeber und den lokalen Projektträgern in Form eines Netzwerks. Teilnehmende Organisationen halten gewisse Standards ein und erhalten im Gegenzug Unterstützung durch die koordinierende Organisation.
Für die einzelnen Organisationen bringt die Teilnahme im Netzwerk wichtige Vorteile: Neben der größeren Präsenz in den Medien aufgrund eines einheitlichen Auftretens ist vor allem der Lerneffekt, der durch das Netzwerk entstehen kann, hervorzuheben. Gleichzeitig bietet diese Form des Projekttransfers viel Flexibilität in der lokalen Umsetzung.
Allerdings ergeben sich für Bürgerstiftungen, die ihr Projekt durch den Verbund in einem Netzwerk verbreiten, auch gewisse Herausforderungen. So übernimmt die Bürgerstiftung, die das Projekt verbreitet, aufgrund der Unterstützung der Projektnehmer zusätzliche Aufgaben, wie die Schulung der Projektnehmer, die Organisation gemeinsamer Treffen etc. Dies könnte dazu führen, dass andere Aufgaben der Bürgerstiftung in den Hintergrund rücken.

 

Praxisbeispiel III:

Erfahrungen weitergeben durch die vertragsbasierte Verbreitung

Lifeguide ist ein Online-Ratgeber der Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München. Hier finden Bürgerinnen und Bürger Tipps und Anregungen sowie Adressen für einen nachhaltigen Lebensstil. Den Online-Ratgeber gibt es mittlerweile auch in mehreren anderen Städten, denn die Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München gibt die Internetplattform an lokale Organisationen, unter anderem auch an Bürgerstiftungen, weiter. Dafür zahlen Projektnehmer eine einmalige Lizenz, die sich nach der Größe der Kommune richtet. Im Gegenzug erhalten sie neben dem Hauptgerüst der Internetplattform eine Einführung in den Umgang mit der Plattform sowie technische Unterstützung auch über die Einführungsphase hinaus, zum Beispiel durch einen regelmäßig erscheinenden Newsletter. Aufbau und Rahmen der Internetseite sind festgelegt, doch die lokalen Träger füllen dieses Gerüst mit relevanten Inhalten, Adressen, Tipps und Empfehlungen für ihre jeweilige Stadt aus. In einem Vertrag werden die Rahmenbedingungen sowie die Rechte und Pflichten der Vertragspartner festgehalten.
Mit der Anzahl der Projektnehmer wurde auch der Verwaltungsaufwand schwieriger. Dadurch wurde eine Neuprogrammierung notwendig. Aufgrund der dadurch entstehenden zusätzlichen Finanzierung entschied sich die Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München, das Projekt abzugeben. Deshalb gründeten die Träger der Plattformen einen Verein, der für die Koordination und weitere Verbreitung von Lifeguide verantwortlich ist. Die Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München ist Mitglied dieses Vereins.
[quote]„Durch die Verbreitung von Lifeguide ergab sich für uns sowie für die Projektnehmer eine Win-Win-Situation. Zum einen konnten wir dadurch das Profil der Bürgerstiftung nach außen sichtbarer machen. Zum anderen konnten wir durch die Lizenzgebühren den Aufwand, den wir durch die Entwicklung und die Pflege der Plattformhatten, decken.“ Barbara Wolter, Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München[/quote]

Was hätte man zu Beginn besser machen können?

[quote]„Dass die Projektnehmer eine einmalige Lizenz zahlen, das war schon gut und sinnvoll. Aber die Projektnehmer haben zu Beginn ja noch eine monatliche Gebühr für die regelmäßige Unterstützung gezahlt. Die Verwaltung dieser Gebühr hat aber mehr Arbeitsaufwand als finanzielle Entlastung gebracht. Deshalb haben wir diese Verwaltungsgebühr abgeschafft.“ Barbara Wolter, Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München[/quote]

Bei der vertragsbasierten Verbreitung gibt eine Bürgerstiftung ein Projekt an lokale Organisationen weiter. Diese führen es eigenständig, aber im Rahmen von vertraglich vorgegebenen Standards durch. Meist werden Name und Logo des Projekts beibehalten und durch einen Zusatz wie etwa den Namen der Stadt ergänzt (zum Beispiel: Lifeguide Berlin). Die Grundlagen sowohl des Projekts als auch der Kooperation zwischen Projektgeber und -nehmer sind vertraglich festgehalten. Der Projektgeber ist neben der Entwicklung und Weiterentwicklung auch für die Unterstützung und Koordination der Projektnehmer zuständig. Diese Leistung kann gebührenpflichtig sein.
Der Vorteil dieser Transfermethode liegt vor allem darin, dass durch vertraglich festgelegte Standards die Qualität der transferierten Projekte gewährleistet wird. Das ist vor allem wichtig, wenn die Projekte unter gleichem Namen operieren.
Das Beispiel der Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München zeigt aber auch, dass durch eine vertragsbasierte Verbreitung zusätzliche Aufgaben auf den Projektgeber zukommen. Dies kann für eine Bürgerstiftung eine Herausforderung sein.

 

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Julia Meuter

Julia Meuter arbeitet als Leiterin Transferberatung bei der Stiftung Bürgermut. Zuvor war sie bei der EVPA tätig und leitete beim Bundesverband Deutscher Stiftungen das „Social Franchise Projekt“ sowie „Effektn –Methoden erfolgreichen Projekttransfers“. Sie hat ein umfangreiches Wissen zu Fragen der systematischen Skalierung von Gemeinwohllösungen und ist Autorin zahlreicher Publikationen und Praxis-Ratgeber zum dem Thema.

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