Arbeiterkind.de: Ehrenamtliche gewinnen und halten
Arbeiterkind auf dem openTransfer CAMP am 8. November 2014 in Frankfurt
Das Projekt Arbeiterkind.de hat sich seit der Gründung 2008 rasant verbreitet. Mittlerweile werden an 70 Standorten in ganz Deutschland junge Leute aus Nichtakademiker-Familien dabei unterstützt zu studieren. Dennoch stellt sich immer wieder die Frage: Wie kommen wir an neue ehrenamtlich Engagierte? Diese Frage diskutierte die Arbeiterkind-Gruppe Frankfurt in ihrer Session.
Das Projekt Arbeiterkind unterstützt Schüler und Studierende aus Nichtakademiker-Familien, also junge Leute, die als erste in ihrer Familie einen Studienabschluss anstreben. Dazu bietet Arbeiterkind.de Informationen rund um das Studieren an, die online und auf Veranstaltungen in Schulen oder auf Messen weitergegeben werden. Außerdem stellen sie den Studieninteressierten bei Bedarf ehrenamtliche Mentoren an die Seite. Diese haben den gleichen Background und studieren entweder bereits oder haben ihr Studium schon abgeschlossen.
Wichtig ist den Projektmachern dabei, dass keine Wertung vorgenommen wird, die ein Studium zu etwas Besserem erklärt. Vielmehr sollen Hürden abgebaut werden, die jungen Menschen aus nichtakademischen Familien im Wege stehen, wenn sie sich für ein Studium interessieren.
Das Projekt ist schnell zu einem Selbstläufer geworden. (Davon hatte auch schon Wolf Dermann auf dem allerersten openTransfer CAMP 2012 in Berlin berichtet.) Mittlerweile ist ein bundesweites Netzwerk mit vielen regionalen Standorten entstanden. Die Zentrale befindet sich in Berlin, dann gibt es noch vier Regionalkoordinatoren für die vier Himmelsrichtungen.
Trotz dieser Größe stellt sich dem Projekt immer wieder das Problem, wie neue Freiwillige gefunden und einbezogen werden können. Die ehrenamtliche Mitarbeit, für die Leute gefunden werden müssen, besteht aus drei verschiedenen Säulen: Die Freiwilligen informieren an Schulen über Möglichkeiten zu studieren. Sie halten Vorträge auf Messen, z. B. Ausbildungsmessen etc. Und/Oder sie sind als Mentoren tätig. Im Mentoringbereich besteht schon ein großes Netzwerk; allein im Raum Frankfurt/Main gibt es 250 Mentoren, bundesweit sind es ca. 2.000. Dennoch fehlt es immer wieder an wirklich aktiven Leuten.
Lillifer Seiler, Pascal Lauria, Sascha Mukherjee und Khalid Asalati von Arbeiterkind Frankfurt formulierten ihre aktuelle Fragestellung so: Wir wollen uns weiterentwickeln, aber wie? Sie führten dazu verschiedene Aspekte an, die das Problem ausmachen.
So ist die Fluktuation bei den Ehrenamtlern sehr hoch, es ist schwierig, eine langfristige Bindung zu erreichen. Außerdem ist die Gruppe der Freiwilligen nicht homogen, die Bandbreite reicht von Studierenden über Berufstätige bis Rentner.
Eine Sessionteilnehmerin fragte nach, ob die (ehemaligen) Mentees in irgendeiner Form in das Netzwerk eingebunden oder für eine ehrenamtliche Arbeit angesprochen würden. Die Frankfurter „Arbeiterkinder“ berichteten, dass dies sehr schwierig sei. Schon Rückmeldungen von den Mentees seien nur schwer zu bekommen. Sie erleben, dass die Motivationen bei den Mentees sehr andere sind als bei den Ehrenamtlern.
Die Sessiongeber fragten daher in die Runde, wie die Teilnehmer selbst Freiwillige für ihre Projekte finden würden. In den Antworten wurde das Problem der Kurzlebigkeit von Engagement bestätigt, dies hatten schon mehrere Teilnehmer in ihren Projekten genauso erlebt. Angeregt wurde, dass stärker mit den Angeboten des Projektes an die Ehrenamtlichen geworben werden könne. Arbeiterkind.de bietet zum Beispiel auf verschiedenen Ebenen Mehrwert an. Die Freiwilligen können neue Qualifikationen erwerben, sie erhalten Schulungen in Moderation und anderen Methoden und sie werden Teil eines großen Netzwerkes, das an vielen Orten und in vielen verschiedenen Bereichen ansprechbar ist.
Als weiterer wichtiger Aspekt wurde die Bindung durch persönlichen Kontakt genannt und nachgefragt, wie dies bei Arbeiterkind abläuft, ob es z. B. einen regelmäßigen Stammtisch für die Ehrenamtler gebe oder Ähnliches. Die Sessiongeber berichteten, dass sie auf ihrer Web-Plattform ein eigenes soziales Netzwerk eingerichtet haben. Darüber würden alle Beteiligten erreicht und alle Informationen vermittelt. Eine Sessionteilnehmerin warf ein, dass ihr Verein InteGREATer Facebook- und What’s App-Gruppen zur persönlichen Ansprache und Vernetzung stark nutze und dies recht gut funktioniere.
Die Sessiongeber machten als ein weiteres Problem aus, dass ihr Projektname nach wie vor auch eine stigmatisierende Wirkung habe. Die Ehrenamtlichen stellten sich nicht gerne in die Öffentlichkeit und sagten von sich: „Hei, ich bin ein Arbeiterkind.“ Dies schränke die Möglichkeiten ein, durch bestehende Ehrenamtler weitere neue zu gewinnen, sei es durch Öffentlichkeitsarbeit oder persönliche Netzwerke. Insgesamt sei der Name für das Projekt aber sehr gut, da er das Anliegen verständlich und knapp auf den Punkt bringe und so auch in den Medien sehr gut ankomme.
Der folgende Diskussionspunkt kreiste um die Frage, wie mehr Verbindlichkeit erreicht werden könne, die bei ehrenamtlichem Engagement immer ein Problem darstelle. In einigen der in der Session vertretenen Projekten wird mit einer Freiwilligen-Erklärung gearbeitet, in der gegenseitige Verabredungen vereinbart werden. Eine Teilnehmerin, die als Ehrenamtskoordinatorin einer großen Wohlfahrtsorganisation arbeitet, erklärte, dass bei ihnen das Erstgespräch mit einem interessierten Ehrenamtler immer persönlich statt in der Gruppe geführt werde. So entstehe eine größere Verbindlichkeit. Außerdem würden die Erwartungen beider Seiten in dem Gespräch sehr konkret abgefragt.
Als Möglichkeit wurde auch eingeworfen, zu Beginn der ehrenamtlichen Tätigkeit eine Festlegung einzufordern, die den zeitlichen Rahmen des Engagements abschätzt. Dieses Vorgehen wurde aber auch als schwierig angesehen, da die Festlegung entweder abschrecken könne, oder dazu führe, dass sich die Freiwilligen im anfänglichen Eifer überschätzten und die Festlegung dann nicht einhalten könnten.
Es kamen viele weitere Tipps aus der Session, wie die Akquise von Ehrenamtlichen verbessert werden könne. Wichtig sei zum Beispiel, eine klare Strukturierung der verschiedenen Mitarbeitsmöglichkeiten. Darauf aufbauend könnten die Ehrenamtlichen besser ihren Wünschen und Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden. Oder es könne eine Staffelung aufgebaut werden, bei der die Freiwilligen ihrer Erfahrung entsprechend zu Beginn „leichtere“ Aufgaben bekommen und bei größerer Erfahrung verantwortungsvollere Arbeiten übernehmen könnten.
Ein anderer Sessionteilnehmer gab den Ratschlag, den Ehrenamtlern mehr zuzutrauen und auch mal Verantwortung an sie abzugeben. Dies führe zu einer höheren Motivation und damit auch zu einer stärkeren Bindung an das Projekt.
Die Session knüpfte sehr schön an eine Diskussion auf dem Hamburger openTransfer CAMP an, bei der die Projekte „Was hab ich“ und „Freizeit-Helden“ das Finden und Binden von Ehrenamtlichen thematisiert hatten. (Hier geht’s zum Bericht aus dieser Session.)
Habt ihr weitere Anregungen, wie ehrenamtlich Engagierte gewonnen und gehalten werden können? Dann ergänzt diese doch in den Kommentaren! Dankeschön!
Video-Interview mit Arbeiterkind Frankfurt auf dem openTransfer CAMP
Wie die Verbreitung von Arbeiterkind funktioniert
„Falschrum wachsen“: Arbeiterkind.de auf dem openTransfer CAMP Berlin am 17.11.2012
Fotos: Andi Weiland / opentransfer.de