Jugend macht Land – Jugendgemeinderat Muldaustausee
In der sachsen-anhaltinischen Gemeinde Muldestausee vertritt ein Jugendgemeinderat die Interessen der jungen Menschen. Von dem Engagement profitieren nicht nur die Jugendlichen, sondern alle Bewohner:innen der 13 Dörfer. Inzwischen haben in der Region auch andere Gemeinden und Städte das Modell übernommen.
Eine Baustelle ist im Sommer 2021 das sichtbarste Zeichen des erfolgreichen Engagements der 13 Jugendlichen des Jugendgemeinderats Muldestausee. Am Ortsrand von Pouch entstehen eine Skateanlage, eine Mini-Agora und ein Fitness-Parcours. Ein Bolzplatz, Kletterfelsen und eine Wetterschutzhütte sollen folgen. Hier entsteht ein Ort, der im ländlichen Raum rar ist: ein Treffpunkt für Jugendliche. „Ich freue mich schon sehr auf die Freizeitanlage. Endlich können wir uns mehr draußen treffen“, sagt die 17-jährige Lucy Konarski. Die Schülerin ist die 2. Vorsitzende des Jugendgemeinderats, der seit 2018 die Interessen der rund 1.000 Jugendlichen der sachsen-anhaltischen Gemeinde vertritt.
Jugendbeteiligung ermöglichen
Ins Leben gerufen wurde der Jugendgemeinderat Muldestausee 2017 von Ferid Giebler, dem damals frisch gewählten jungen Bürgermeister der 12.000-Seelen-Gemeinde. Nachdem er aufgefordert worden war, sich zur Wahl zu stellen, sammelte er die nötigen 100 Unterstützer:innen und erarbeitete ein Wahlprogramm. Dabei fiel ihm auf, dass junge Menschen bisher keine Möglichkeit hatten, sich zu beteiligen. Eine vertane Chance und wenig zukunftsorientiert, wie Ferid Giebler fand. Abgesehen davon, dass es Zeit wurde, die Interessen der jungen Menschen in der Gemeinde stärker zu berücksichtigten, kann eine erfolgreiche Jugendarbeit ein wichtiger Haltefaktor sein.
„Ein langfristiges Ziel ist natürlich, dass sich die jungen Menschen stärker mit der Gemeinde identifizieren und wir sie so attraktiv gestalten, dass auch die junge Generation gern hier bleibt“, sagt Ferid Giebler und ergänzt: „Ein weiterer strategischer Schachzug ist: Wenn Jugendliche lernen, dass sie etwas erreichen, wenn sie sich mit ihren Themen einbringen, dann treten sie später auch eher dem Ortschafts- oder Gemeinderat bei.“
Diese Gremien müssen, so Ferid Giebler, jünger und innovativer werden. Mit dem Rückenwind aus dem guten Wahlergebnis setzte der Bürgermeister den Jugendgemeinderat gegen den Widerstand mancher Gemeinderatsmitglieder durch. Macht abzugeben, den Jugendlichen beispielsweise ein Antrags- und Rederecht und ein Budget einzuräumen, fanden nicht alle gut.
„Für manche sind Jugendliche die, die alles schmutzig machen und laut sind“, sagt Lucy Konarski. „Mit dem Jugendgemeinderat können wir zeigen, dass es auch andere gibt: Jugendliche, die etwas bewirken wollen.“ Nicht nur für Lucy Konarski ist es ein tolles Gefühl, dass Jugendliche nun mehr Mitspracherecht haben. Auch bei vielen anderen ihrer Generation stieß die Idee eines Jugendgemeinderats auf große und positive Resonanz. Zur ersten Wahl 2017 stellten sich 27 Jugendliche zwischen zwölf und 25 Jahren auf.
Erfolge, Sichtbarkeit, Akzeptanz
Schon in der ersten Legislaturperiode haben die Jugendlichen viel erreicht. Sie haben Graffiti-Projekte umgesetzt und die Ortschaftsräte dazu gebracht, Flächen zum legalen Sprayen ausfindig zu machen und freizugeben. Sie haben Kinofilme für Kinder und Jugendliche in den Dörfern der Gemeinde gezeigt und dafür gesorgt, dass drei Wetterschutzhütten an Spielplätzen aufgestellt werden, die nicht nur ihnen, sondern auch jungen Eltern und Tourist:innen zugutekommen. Die Mitglieder des Jugendgemeinderats beteiligen sich an Ferienprogrammen und Müllsammelaktionen, laufen bei der Marathonstaffel um die Goitzsche mit oder sitzen mit im Drachenboot. „Im Gegensatz zu den älteren Gemeindemitgliedern sind die Jugendlichen bei allen Events und Aktionen sichtbar“, bemerkt Ferid Giebler. Dass die öffentliche Präsenz für den Erfolg des Jugendgemeinderats und die Akzeptanz bei den Älteren wichtig ist, weiß der Bürgermeister. „Menschen, Bilder, Emotionen – es geht immer wieder darum, die Öffentlichkeit positiv zu informieren“, sagt er. Um das größte Ziel, die Skateanlage, zu erreichen, haben die Jugendlichen mit einer Spendenaktion medienwirksam im Herbst und Winter 2018/19 fast 70.000 Euro gesammelt. War ein Etappenziel erreicht, mistete der Bürgermeister einen Schweinestall aus oder ging eisbaden – so die Vereinbarung. Nach vier Monaten hatten sie den Eigenanteil aufgetrieben, den sie brauchten, um den Förderantrag für die Freizeitanlage stellen zu können.
Im Laufe der ersten drei Jahre hat sich das Bild von den Jugendlichen bei vielen verändert. Auch wenn es vereinzelt Menschen gibt, die die Arbeit torpedieren, öffnen sich die Älteren den Jungen und ihren Anliegen gegenüber. Sie merken, dass sie ebenso von deren Engagement profitieren. „Manche brüsten sich sogar mit den engagierten Jugendlichen in ihrer Gemeinde“, bemerkt Ferid Giebler. Auch Lucy Konarski hat den Eindruck, dass sich die Stimmung gewandelt hat. „Wir werden ernster genommen“, sagt sie. Der Jugendgemeinderat hat außerdem zur Vernetzung der jungen Menschen aus den unterschiedlichen Ortschaften beigetragen. „Zwischen den Jugendlichen findet mehr Kommunikation statt“, freut sie sich. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Effekt, den die Arbeit auf die Engagierten selbst hat. Denn: Wer Selbstwirksamkeit erlebt, entwickelt auch Selbstbewusstsein.
Strahlkraft: mehr Jugendbeteiligung in der Region
Mit seinen Erfolgen ist der Jugendgemeinderat Muldestausee schnell überregional bekannt geworden und wurde 2019 mit dem „RTL Com.mit Award“ und dem „JugendEngagementPreis“ ausgezeichnet. In wenigen Jahren hat der Jugendgemeinderat eine Strahlkraft entwickelt, der sich andere Gemeinden nicht entziehen können. „Das Instrument wurde inzwischen von einigen Orten in der Region übernommen“, erzählt Ferid Giebler, der seine Erfahrungen nun regelmäßig mit Bürgermeister:innen und Verwaltungsleuten teilt.
In der Stadt Zörbig entsteht derzeit nach dem Vorbild der Gemeinde Muldestausee ein Jugendstadtrat. Auch Sandersdorf-Brehna, Bad Schmiedeberg und Aken haben Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche geschaffen.
„Damit Jugendliche aktiv werden können“, sagt Ferid Giebler, „braucht es vor allem Gemeinden, die das wollen, die eine Satzung erarbeiten und Rechte einräumen.“ Wichtig sind auch engagierte Bürgermeister:innen, die die Jugendlichen unterstützen und motivieren, und Geld. Ein Hindernis ist, dass Jugendarbeit als freiwillige Leistung gilt. Nur dank einer Kofinanzierung mit der Kommune kann sich die Gemeinde die Stelle Jugendsozialarbeit leisten.
2021 hat der neue Jugendgemeinderat seine Arbeit aufgenommen. Inzwischen vernetzt er sich über ein Jugendforum auch mit anderen Jugendlichen aus der Region. Lucy Konarski ist seit der zweiten Legislaturperiode dabei. Gerade ist sie auf die Fachoberschule mit Schwerpunkt Verwaltung und Recht gewechselt. „Ich wohne gerne hier und möchte auch später in der Gemeinde bleiben“, sagt sie. Die Zeichen stehen also gut, dass Lucy Konarski auch nach 2023 die Gemeinde mit prägen wird.
www.jugendgemeinderat-muldestausee.de
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