Wie kann es gelingen, eine Selbstvertretungsinitiative wohnungslosigkeitserfahrener Menschen aufzubauen? Anregungen aus Praxis und Theorie
Session-Dokumentation – openTransfer CAMP wohnen
Session von: Stefan Schneider (Wohnungslosen_Stiftung)
In dieser Session ging es um die Frage, wie Initiativen zur Selbstvertretung wohnungslosigkeitserfahrener Menschen erfolgreich aufgebaut werden können, welche Faktoren dabei zum Gelingen beitragen und welche Fehler es zu vermeiden gilt.
Stefan Schneider, der sich bereits in zahlreichen Projekten (u.a. Berliner Straßenzeitung strassenfeger, Selbstvertretung wohnungsloser Menschen, Wohnungslosen_Stiftung) engagiert hat, gab einen kurzen Input zu seinen Erfahrungen in der Selbstorganisation und -vertretung von Menschen mit Wohnungslosigkeitserfahrung. Anschließend diskutierten die Teilnehmenden anhand von praxisorientierten Methoden und Beispielen zentrale Voraussetzungen und Herausforderungen für die Gründung einer Selbstvertretungsinitiative.
Zentrale Aspekte und Erkenntnisse aus der Session
- Rahmenbedingungen für erfolgreiche Selbstvertretung
- Ressourcen und Unterstützung: Viele Menschen mit Wohnungslosigkeitserfahrung sind im Alltag stark beansprucht (z.B. durch Jobsuche, Geldsorgen, Zeit für Essenstafeln), weshalb finanzielle oder organisatorische Hilfen (z.B. Fahrtkosten, Räume) entscheidend sein können.
- Räume ohne Konsumzwang: Um sich treffen und organisieren zu können, braucht es Orte, die kostenlos und frei zugänglich sind. Idealerweise stellen Kommunen solche Räume zur Verfügung.
- Gemeinsame Ziele und Moderation: Eine effektive Abstimmung zu Fragen wie „Was wollen wir eigentlich erreichen?“ braucht Strukturen, die alle Beteiligten einbinden und ihnen Gehör verschaffen.
- Motivation und Beteiligung
- Selbstbewusstsein und Mut: Eine gewisse innere Stabilität und das Bewusstsein, etwas bewirken zu können, sind hilfreich für die Gründungsphase.
- Ansprache passender Zielgruppen: Häufig sprechen Bilder oder Sprache in Kampagnen nur einen Teil der Wohnungslosen an (z.B. stereotype „Landstreicher“). Um auch verdeckt Wohnungslose („Sofa-Hopper“) oder prekär Wohnende einzubinden, ist eine gezielte, differenzierte Ansprache nötig.
- Identitäts- und Begriffsfragen
- Selbstbezeichnung: Begriffe wie „Betroffene“ werden von vielen abgelehnt, weil sie die eigene Handlungsfähigkeit infrage stellen. In der Gruppe sollte eine gemeinsame, wertschätzende Sprache gefunden werden (z.B. Menschen mit Erfahrungsexpertise).
- Schutz der Privatsphäre: Persönliche Geschichten sind oft starke Mittel, um Öffentlichkeit herzustellen, gleichzeitig müssen die Betroffenen selbst entscheiden, wie viel sie von sich preisgeben wollen.
- Beispielhafte Forderungen und Überlegungen
- Abschaffung von Sammelunterkünften: Sie können Menschen zusätzlich traumatisieren und sind historisch überholt.
- Rechtlicher Rahmen: Es gibt Gerichtsurteile, die alternative Unterbringungsformen (z.B. Hotels, Hostels) gestatten. Eine aktive Selbstvertretung kann diese Möglichkeiten einfordern.
- Methodischer Input
- Community Organizing: Stefan Schneider zeigte Folien, in denen er Modelle und Vorgehensweisen aus der Community-Organizing-Praxis vorstellte. Diese helfen, komplexe Prozesse in der Wohnungslosenhilfe zu strukturieren und Betroffene erfolgreich einzubinden.
- Zweier-Murmelgruppen: Die Teilnehmer:innen zogen aus zehn Aspekten jeweils einen heraus und diskutierten in Kleingruppen, wie sie diese Herausforderung beim Aufbau einer Selbstvertretung anpacken könnten.
Fazit
Die Session verdeutlichte, dass erfolgreiche Selbstvertretung wohnungslosigkeitserfahrener Menschen immer ein Zusammenspiel aus klarer Zielsetzung, praxisnaher Unterstützung (finanziell, organisatorisch, rechtlich) und wertschätzender Kommunikation sein muss. Dabei ist es entscheidend, Betroffene als handelnde Subjekte wahrzunehmen, ihnen zuzuhören und echte Mitgestaltung zu ermöglichen. So lassen sich nachhaltige Initiativen aufbauen, die sowohl nach innen (Beteiligung und Zusammenhalt) als auch nach außen (Öffentlichkeit und politische Einflussnahme) wirksam sein können.