Weiblich, wohnungslos, schutzlos? Wohnungslosigkeit und Geschlecht

Session-Dokumentation – openTransfer CAMP wohnen

Session von: Timo Weishaupt (Universität Göttingen) und Gaby John (DiLV Köln SV)

Diese Session widmete sich den besonderen Bedarfen wohnungsloser Frauen, beleuchtete die oft gewaltgeprägten Hintergründe und diskutierte, ob und wie das Hilfesystem geschlechtsspezifische Angebote bereitstellt und Diskriminierung – etwa auf dem Wohnungsmarkt – abgebaut werden kann.

Timo Weishaupt zeigte zunächst auf, dass die Zahl wohnungsloser Frauen in Deutschland seit Jahren wächst. Viele Betroffene sind von (häuslicher) Gewalt und mehrschichtigen Traumata geprägt. Zudem werden Frauen strukturell benachteiligt, sei es in Bezug auf soziale Sicherung (Gender Pay Gap) oder im Hilfesystem selbst, das häufig auf männliche Bedürfnisse ausgerichtet ist. Gaby John unterstrich die Bedeutung diskriminierungsfreier Zugänge zum Wohnungsmarkt und gab Einblicke in ihre Erfahrungen aus dem Lenkungskreis Wohnungslosenhilfe in Düsseldorf.

1. Ursachen und Besonderheiten

Gewalt und Traumatisierung: Häusliche Gewalt ist ein häufiger Faktor, der Frauen in die Wohnungslosigkeit treibt. Eine besondere Herausforderung ist, dass viele Frauen ihre Obdachlosigkeit „verdeckt“ (z.B. über Couchsurfing) zu bewältigen versuchen.

Mangelnde geschlechtssensible Angebote: Vielerorts gibt es (große) Sammelunterkünfte, die weder Datenschutz noch Privatsphäre ausreichend berücksichtigen und die Bedürfnisse von Frauen (besonders traumatisierten Personen, Alleinerziehenden) kaum erfüllen.

Institutionelle Hürden: Abweisende oder uninformierte Behörden (z.B. Jobcenter, Ordnungsämter) erschweren den Zugang zu Hilfsleistungen. Eine Teilnehmende nannte das Beispiel, dass Sachbearbeitende oft zu wenig Wissen darüber haben, wie Frauen in Not unterstützt werden können.

2. Diskriminierung am Wohnungsmarkt

Strukturelle Ungleichheit: Frauen, Menschen mit Behinderung oder Migrationsgeschichte sowie Alleinerziehende begegnen häufiger Vorbehalten von Vermieter:innen.

Aktionstage und Lobbyarbeit: Es besteht Bedarf, gemeinsam auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und politischen Druck aufzubauen. Gaby John brachte einen geplanten Aktionstag 2024 ins Gespräch, der Diskriminierung beim Zugang zu Wohnraum thematisieren soll.

3. Konkrete Einblicke in Unterkünfte

Mangelnde Würde und Sicherheit: Aus verschiedenen Einrichtungen wurde berichtet, dass Bewohner:innen durch zu große Häuser und starre Regelwerke zusätzlich belastet werden. Teilweise gelten strikte Vorschriften (z.B. nur wenige Sekunden fließendes Wasser, keine Kinder- oder getrennte Frauenbereiche), Ratten- und Schädlingsprobleme und fehlende Privatsphäre.

Teure, aber unzureichende „ordnungsrechtliche Unterbringung“: Die Kosten (z.B. Tagessätze von mehreren Hundert Euro) stehen oft in keinem Verhältnis zur Qualität und zum Schutzniveau solcher Unterkünfte.

4. Mögliche Lösungen und Forderungen

Kleinere, geschützte Wohnformen: Statt Massenunterkünften wären dezentralere, auf Frauen zugeschnittene Angebote ein wichtiger Schritt.

Sensibilisierung und (Fort-)Bildung: Fachkräfte in Ämtern und Verwaltungen brauchen Schulungen zu geschlechtsspezifischen Problemlagen, um Frauen und marginalisierte Gruppen besser zu unterstützen.

Betroffene beteiligen: In Selbstvertretungen und Initiativen sollten Frauen explizit eingebunden und gehört werden – allerdings ist dies oft schwierig, weil sie keine sicheren Internetzugänge oder Rückzugsorte haben.

Klare Mindeststandards: Kommunen und Länder müssen (ggf. gesetzlich) dazu verpflichtet werden, menschenwürdige und sichere Notunterkünfte mit spezialisierter Fachberatung anzubieten.

Aktionstage und gemeinsame Lobby: Die Teilnehmenden plädierten dafür, verstärkt auf Land- und Bundesebene zu kooperieren, um Unterfinanzierung und Unwissenheit zu beenden und mehr Frauen-Housing-Projekte bzw. gendersensible Housing-First-Angebote zu etablieren.

Fazit

Die Session verdeutlichte, dass Wohnungslosigkeit bei Frauen eng mit Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen verknüpft ist. Um ihnen effektiv zu helfen, müssen passende, geschlechtssensible Konzepte im Hilfesystem verankert werden. Zugleich bedarf es breiter Öffentlichkeitsarbeit und politischer Maßnahmen, um die Diskriminierung von Frauen am Wohnungsmarkt anzugehen. Die Teilnehmenden sahen in diversen Ansätzen – von kleineren, geschützten Unterkunftsformen bis zu Öffentlichkeitskampagnen – Chancen, eine dringend benötigte Wende herbeizuführen.

Daniel Männlein

Daniel Männlein ist Programmmanager im Programm openTransfer Patenschaften und gestaltet bundesweit Angebote für Patenschafts-, Mentoring- und Tandemprojekte. Er hat Sozialwissenschaften in Augsburg, Spanien und Berlin mit Schwerpunkt auf Stadt- und Migrationsforschung studiert. Vor seiner Tätigkeit bei der Stiftung Bürgermut sammelte er wertvolle Erfahrungen in der Projektförderung bei der Robert Bosch Stiftung, in der Projektarbeit bei zivilgesellschaftlichen Trägern und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert