Was ist Housing First, was ist es nicht und was geschieht dazwischen?

Session-Dokumentation – openTransfer CAMP wohnen

Session von: Julia von Lindern (Bundesverband Housing First)

Diese Session beleuchtete die acht Grundprinzipien von Housing First, die Entstehungsgeschichte und Umsetzungsschwierigkeiten des Konzepts in Deutschland sowie die Frage, wie „programmtreu“ oder flexibel Housing First-Projekte ausgestaltet sein können.

Julia von Lindern vom Bundesverband Housing First stellte zunächst das in New York entwickelte Konzept „Pathways Housing First“ vor, das sich primär an Menschen richtet, die chronisch wohnungslos sind und oft komplexe Problemlagen (psychische Erkrankung, Sucht etc.) aufweisen. Hierbei wird bewusst der Ansatz „Housing First, Treatment Second“ verfolgt – im Gegensatz zu vielen herkömmlichen Angeboten, bei denen therapeutische oder andere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, bevor ein fester Wohnraum zur Verfügung gestellt wird.

Wesentliche Grundprinzipien

  1. Wohnen als Menschenrecht
  2. Wahl- und Entscheidungsfreiheit
  3. Trennung von Wohnen und Betreuung
  4. Personenzentrierung
  5. Aktive Beteiligung ohne Druck und Zwang
  6. Flexible Hilfen
  7. Harm Reduction
  8. Recovery-Orientierung

Diese Prinzipien sind in der Praxis jedoch herausfordernd umzusetzen. Beispielsweise gibt es in Deutschland kein einklagbares „Recht auf Wohnen“ im juristischen Sinne, was die praktische Umsetzung von Housing First erschwert. Hohe Mietpreise, begrenzte Fördermittel und regionale Unterschiede bei den Verwaltungspraxen schaffen zudem weitere Hürden. Gleichzeitig zeigen zahlreiche Projekte (national und international), dass Housing First Menschen langfristig einen stabilen Wohnraum bieten kann, oft mit Erfolgsquoten von 80–85 Prozent hinsichtlich des Erhalts der Wohnung.

Herausforderungen und Diskussion

  • Zugang für EU-Bürger:innen: Insbesondere Personen ohne Sozialleistungsanspruch stoßen an Grenzen des Hilfesystems. Dennoch existieren erste Projekte speziell für diese Zielgruppe.
  • Finanzierung und Ressourcen: Ein betreuungsintensiver Schlüssel (z.B. 1:10) braucht verlässliche Finanzierung.
  • Strukturelle Reformen: Es besteht häufig Uneinigkeit darüber, ob eine dauerhafte Wohnung oder stationäre Hilfen vorrangig sein sollen. Housing First erfordert teils neue Verwaltungs- und Finanzierungspfade.
  • Kommunale Wohnungsbaugesellschaften: Manche Städte kooperieren bereits, andere zögern. Die Forderung nach verbindlichen Quoten für Wohnungslose wird diskutiert.

Fazit
In der Session wurde deutlich, dass Housing First auch in Deutschland – trotz positiver Erfahrungen und hoher Erfolgsraten – auf strukturelle, finanzielle und rechtliche Barrieren trifft. Die Teilnehmenden waren sich aber einig, dass dieses Konzept eine zentrale Option für Menschen in chronischer Wohnungslosigkeit darstellt. Unter dem Dach des Bundesverbands Housing First wird derzeit viel Vernetzungs- und Lobbyarbeit geleistet, um das Konzept weiter zu verbreiten und konkrete Lösungsansätze (etwa spezielle Förderinstrumente oder Quoten für Wohnungslose) anzustoßen.
Alle, die an vertiefenden Informationen interessiert sind, können sich über Webinare und die demnächst veröffentlichte Orientierungsdatenbank des Bundesverbands Housing First informieren.

Tipp / Veranstaltungshinweise: Webinare auf Website von Bundesverband Housing First

Daniel Männlein

Daniel Männlein ist Programmmanager im Programm openTransfer Patenschaften und gestaltet bundesweit Angebote für Patenschafts-, Mentoring- und Tandemprojekte. Er hat Sozialwissenschaften in Augsburg, Spanien und Berlin mit Schwerpunkt auf Stadt- und Migrationsforschung studiert. Vor seiner Tätigkeit bei der Stiftung Bürgermut sammelte er wertvolle Erfahrungen in der Projektförderung bei der Robert Bosch Stiftung, in der Projektarbeit bei zivilgesellschaftlichen Trägern und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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