Unternehmen und Demokratie – ein Balanceakt

Thomas Leppert vom Verein „Heldenrat – Beratung für soziale Bewegungen“ beim openTransfer CAMP #Demokratie am 28.09.2019 in Erfurt

Welche Verantwortung tragen Unternehmen in einer Demokratie? Sollten sie sich politisch positionieren, um demokratische Grundwerte zu fördern? Passen Wirtschaftlichkeit und politisches Engagement zusammen? Angeleitet durch Thomas Leppert diskutierten die Teilnehmenden über die Möglichkeiten von Unternehmen, Demokratie intern wie gesamtgesellschaftlich aktiv mitzugestalten. 

Die demokratischen Stellschrauben und Schnittstellen eines Unternehmens

Zwei Männer betreten eine Bäckerei. Sie tragen Pullover, mit denen sie offenkundig ihre nationalsozialistische Gesinnung zum Ausdruck bringen. Sie werden scheinbar bedenkenlos bedient. Dieses Erlebnis gab Thomas Leppert eingangs in die Runde, verbunden mit der Frage, inwieweit Unternehmen Haltung zeigen sollten. Die Antworten waren gegensätzlich: Einerseits könne eine politische Abgrenzung für ein kleines bis mittelständisches Unternehmen in einer strukturschwachen Region eine Existenzbedrohung bedeuten. Der Verlust von Kundschaft könnte drohen. Dem wurde entgegengesetzt, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund habe – eine potenziell wachsende Zielgruppe, die zu gewinnen nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht interessant sei. 

Ein Mann spricht zu zwei Zuhörern und gestikuliert.

Wie sieht es innerbetrieblich aus? Wie umgehen mit antidemokratischen Einstellungen von einzelnen Angestellt:innen? Dürfen Arbeitgeber:innen einen Gesinnungstest machen? Nein – war die einstimmige Antwort der Diskutierenden. So sei es gerade ein Bestandteil der Demokratie, politisch frei denken zu können. Eine Kündigung aufgrund eines spezifischen Parteibuches ist rechtlich nicht möglich, was auch einen Schutz vor politischer Willkür sicherstelle. Dennoch verfügten Unternehmen über einen rechtlichen wie ideellen Gestaltungsspielraum, den sie voll ausschöpfen sollten, um demokratiestärkend zu wirken.

Ein Unternehmenskodex etwa wurde als ein zentrales Mittel benannt, um demokratische Leitsätze aktiv umsetzen zu können. Kündigungen ließen sich zum Beispiel mit diesem Leitbild begründen. Dabei geht es nicht nur um verfassungsrechtliche Aspekte. Es ginge darum, ein Menschenbild zu vertreten und eine Debattenkultur darüber zu schaffen. Schon in Ausbildungszusammenhängen sollte ein Leitbild kommuniziert werden, indem z. B. Bildungsformate zu Politik und Geschichte integriert werden. Keinesfalls sei es jedoch Unternehmensaufgabe, Mitarbeitende zu zensieren und moralisch zu belehren.

Demokratie als Standortfaktor

„Ist der Rückzug von Unternehmen aus einer Region mit starken antidemokratischen Tendenzen eine richtige Entscheidung?“, lautete die anschließende Diskussionsfrage. Um die Abwanderung von Mitarbeitenden (mit Migrationshintergrund) zu vermeiden und um ihnen ein attraktives und sicheres Lebensumfeld zu bieten, ist die Entscheidung für bzw. gegen einen spezifischen Standort durchaus nachvollziehbar, war die Antwort einiger Diskussionsteilnehmenden. Dem wurde entgegnet, dass ein Standortwechsel auch ein Auslagern von Verantwortung gegenüber der Zivilgesellschaft und den bestehenden demokratischen Strukturen sei: „Man darf doch nicht außer Acht lassen, dass der wirtschaftliche Zweig mitverantwortlich ist für das Fortbestehen der Demokratie so wie alle anderen gesellschaftlichen Pfeiler auch.“

Zur Rolle von Corporate Social Responsibilty

Thomas Leppert betonte, dass Unternehmen theoretisch einen großen Hebel haben, in die Gesellschaft hinein zu wirken. „Wie wäre es etwa, wenn man so ein Produkt wie den Bautzner Senf, der gefühlt in jedem deutschen Haushalt steht, nutzen würde, um für Demokratie zu werben? Wie weit geht der Verantwortungsrahmen von Unternehmen? Welche Rolle spielen CSR-Maßnahmen in diesem Zusammenhang?“ Die Diskutierenden waren sich darin einig, dass Aktionen im Rahmen von CSR meist leider nur im Kontext von Werbung und dem Polieren des Images umgesetzt werden. Auch dienten sie lediglich dazu, den Schaden zu minimieren, den Unternehmen selbst verursachen, etwa im Bereich Klimabelastung, Arbeitsschutz etc., selten jedoch dazu, proaktiv Gesellschaft zu gestalten.

Das Unternehmen als demokratischer Mikrokosmus

„Die Arbeitskultur wie auch räumliche Infrastrukturen geben Auskunft darüber, welche Vorstellungen ein Unternehmen vom menschlichen Zusammensein und -wirken hat. Zukunftsorientierte Arbeitskonzepte im Sinne der New-Work-Modelle, die Mitarbeitenden ein stärker freibestimmtes Arbeiten ermöglichen sollen, könnten ein Weg sein, unternehmensintern gelebte Gleichberechtigung und Teilhabe auf unterschiedlichen Ebenen zu praktizieren“, erklärte ein Teilnehmer. Auch in dem Umgang mit Arbeiternehmervertretungen, Gleichstellungsbeauftragt:innen und Mitgliedschaften in Gewerkschaften zeige sich das Demokratieverständnis eines Unternehmens. Das habe letztlich viel mit Wertevorstellungen jedes Einzelnen, insbesondere der Führungskräfte zu tun. Grundsätzlich, so alle Teilnehmenden, müsse ein Unternehmen seine Werte regelmäßig kritisch reflektieren und diskutieren, welches Gesellschaftsbild es vertreten und fördern möchte.

Foto: Henning Schacht I opentransfer

Henrik Flor

Diplom-Politologe, absolvierte nach dem Studium ein Verlagsvolontariat und betreute danach für eine Kommunikations-Agentur verschiedene Kunden aus der Buchbranche. Er leitete bis 2021 den Bereich Redaktion & Konzeption bei der Stiftung Bürgermut, baute dort das digitale Engagement-Magazin Enter auf und war von Anfang an bei der Entwicklung von opentransfer.de dabei. Henrik Flor ist Gründungsmitglied des Vereins Netzdemokraten, der Partizipationsmöglichkeiten im Internet auslotet.

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