Nationaler Aktionsplan Wohnungslosigkeit – Entstehung und Ausblick
Session-Dokumentation – openTransfer CAMP wohnen
Session von: André Riemer (Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, BMWSB)


In dieser Session stellte André Riemer vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) den Nationalen Aktionsplan Wohnungslosigkeit (NAP) der Bundesregierung vor, erläuterte dessen Entstehungshintergrund und Ziele bis 2030 sowie die Herausforderungen bei der Umsetzung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.
André Riemer gab zunächst einen Überblick über die Entstehung des NAP, dessen Zielsetzung sowie die wichtigsten Handlungsfelder und Akteure. Er verwies darauf, dass sich Deutschland 2010 im Rahmen der Lissabon-Strategie und der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) verpflichtet hat, Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Mit dem NAP möchte der Bund gemeinsam mit Ländern, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Wohnungswirtschaft und Zivilgesellschaft einen koordinierten Ansatz schaffen.
1. Herausforderungen bei der Umsetzung
- Komplexität und Zuständigkeit: Wohnungslosigkeit berührt Bereiche wie Wohnungs-, Sozial- und Ordnungsrecht. Hinzu kommt die zersplitterte Verwaltungsstruktur mit teils unklarer Rollenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
- Fehlende Koordination: In der Vergangenheit agierten viele Akteure (z.B. Kommunen, Wohlfahrt, zivilgesellschaftliche Initiativen) oft isoliert. Der NAP soll hier für mehr Abstimmung und Austausch sorgen.
- Bund als „Impulsgeber“: Der Bund hat nur begrenzte Kompetenzen (z.B. bei Finanzierung und Gesetzgebung). Förderprogramme laufen zudem häufig befristet und erreichen nie alle Kommunen gleichzeitig.
2. Inhalte und Ziele des Nationalen Aktionsplans
Der NAP, der vom Bundeskabinett gebilligt wurde und vorerst für vier Jahre gilt, setzt sich mehrere Leitlinien und Impulsmaßnahmen. Wichtige Teilziele sind:
- Mehr Wohnraum schaffen – nicht nur in Form von Sammelunterkünften, sondern vor allem dauerhaften und bezahlbaren Mietverhältnissen.
- Prävention – frühzeitige Erfassung von Risikolagen und bessere Verzahnung von Hilfesystemen, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden.
- Qualität der Unterbringung und Gesundheitsversorgung – menschenwürdige Not- und Übergangsunterkünfte, eine engere Anbindung an medizinische und psychosoziale Dienste.
- Aufklärung und Sensibilisierung – breite Öffentlichkeitsarbeit, z.B. durch Besuche von Minister:innen in Einrichtungen oder Aktionstage.
- Digitale Teilhabe – da immer mehr Behörden- und Wohnraumsuche-Prozesse online ablaufen, soll ein barrierearmer Zugang zum Internet gesichert werden.
3. Vorgehen und Partizipation
- Workshops, Zukunftskonferenz und Sommer Camps: Bis April 2024 fanden unterschiedlichste Beteiligungsformate statt, bei denen u.a. Selbstvertretungsinitiativen, Wissenschaft, Wohnungswirtschaft und Stiftungen eingebunden wurden.
- Lenkungskreis: Ein Gremium aus Verwaltung und Zivilgesellschaft soll regelmäßig Rückmeldungen geben und die Umsetzung im Blick behalten.
- Jährliche Arbeitsprogramme und Monitoring: Ab 2025 werden die Zwischenziele konkretisiert. In Jahreskongressen soll öffentlich Bilanz gezogen und über mögliche Korrekturen beraten werden.
4. Fragen und Diskussion
- Housing First: Riemer bezeichnete Housing First als Ansatz geeignet für Personengruppen mit langjähriger Wohnungslosigkeit und multiplen Problemlagen. Dennoch sei es kein Allheilmittel, da viele andere Menschen „lediglich“ Unterstützung bei der Wohnungssuche (z.B. Sozialmakler:innen) oder stabilisierende Angebote bräuchten.
- Finanzierung und Förderprogramme: Zwar ist Budget für Projekte im Bundeshaushalt beantragt, doch angesichts der föderalen Strukturen und begrenzter Mittel seien die Möglichkeiten des Bundes, flächendeckend zu wirken, begrenzt.
- Wohnungsmarkt und Mietrecht: Auch Themen wie Mietpreisbremse oder staatliche Eingriffe in den Immobilienmarkt kamen zur Sprache. Hier verwies Riemer auf andere Zuständigkeiten und die Heterogenität der Wohnungswirtschaft (private Vermieter:innen, Genossenschaften, große Konzerne etc.).
- Qualitätsstandards in Notunterkünften: Mehrfach wurde gefordert, dass der NAP sich für einen verbindlichen Mindeststandard in Einrichtungen einsetzt. Riemer betonte, in Leitlinien und Arbeitsgruppen würden solche Forderungen aufgegriffen, letztlich brauche es aber politischen Willen in Ländern und Kommunen.
Fazit
Der Nationale Aktionsplan Wohnungslosigkeit ist ein ambitioniertes Projekt, das ein komplexes Themenfeld bundesweit koordinieren soll. Während die Teilnehmenden die verstärkte Zusammenarbeit und den partizipativen Ansatz begrüßten, wurde auch deutlich, dass viele Probleme in der Praxis struktureller Natur sind und sich nicht allein durch föderale Programme lösen lassen. Dennoch zeigten Beispiele – etwa in einigen Kommunen mit Single-Unterbringung oder Housing-First-Modellen – dass Verbesserungen möglich sind. Der NAP will bis 2030 deutliche Fortschritte erzielen, auch wenn sich die Frage stellt, inwieweit er verbindlich durchgesetzt werden kann. Einig war man sich: „Besser spät als nie“ – Deutschland muss sich nun verstärkt für die Überwindung von Wohnungslosigkeit einsetzen und dabei möglichst viele Akteur:innen ins Boot holen.
Ein Kommentar bei “Nationaler Aktionsplan Wohnungslosigkeit – Entstehung und Ausblick”