Mentale Gesundheit: Was Krieg und Krisen in Organisationen auslösen  

Erst die Corona-Pandemie, dann der russische Angriffskrieg in der Ukraine: Für gemeinnützige Organisationen sind schwere Zeiten angebrochen. Der Druck auf sie ist groß, sie sollen und wollen helfen. Doch fehlende Kapazitäten lassen jede Hilfe zum Kraftakt werden. Auch Start with a Friend musste sich irgendwann eingestehen: Wir können (noch) nicht allen helfen.

Freude finden in der Fremde. Für eingewanderte und schutzsuchende Menschen in Deutschland ist das nicht immer leicht. Die Organisation Start with a Friend will in ihrem Programm „SwaF Tandem“ Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte ermöglichen. Begegnungen, aus denen vielleicht eine Freundschaft erwächst, die den Menschen Halt und Unterstützung gibt. Doch was passiert, wenn das öffentliche Leben plötzlich ruht? Wenn persönliche Treffen nicht mehr erlaubt sind? „Für Organisationen, die von dem Miteinander, dem Austausch, den gemeinsamen Erlebnissen leben, war die Corona-Pandemie eine harte Zeit“, sagt Teresa Rodenfels, die seit 2016 bei Start with a Friend arbeitet und dort mittlerweile Vorständin ist, „wir sind immer noch dabei die Scherben aufzusammeln und Aufbauarbeit zu leisten.“

Und gerade als die eine Krise abebbte, kam eine weitere hinzu: der Ukraine-Krieg, der über eine Million Menschen zur Flucht nach Deutschland trieb – mehr Geflüchtete als 2015, dem Jahr, in dem die Geschichte von Start with a Friend begann. Seitdem wuchs die Organisation schnell. Ihre Vision blieb dieselbe: Eine Gesellschaft, die ihre Vielfalt lebt, in der alle Menschen sich wohlfühlen und das Leben gleichberechtigt mitgestalten. Bis heute konnten deutschlandweit 17.000 Tandems gebildet werden, über 300 ehrenamtliche Teammitglieder sind an den lokalen Standorten aktiv. Die Geschichte von Start with a Friend ist eine Erfolgsgeschichte. Doch mit dem Erfolg wächst auch die Verantwortung.

Organisationen als Spiegel der Gesellschaft

„Organisationen sind immer auch ein Spiegel, der gesellschaftlichen und privaten Ebene“, sagt Teresa, „und in der Pandemie hat sich gezeigt, dass alle gleichermaßen besonders gefordert waren.“ Auf Bundesebene habe Start with a Friend durchaus auch Positives aus der Situation ziehen können. „Wir sind enger zusammengewachsen, haben die digitalen Kanäle verstärkt genutzt, haben neue Austauschmöglichkeiten geschaffen.“ Das habe die Zusammenarbeit gestärkt. Doch für die regionalen Koordinator:innen und die ehrenamtlichen Teams an den verschiedenen Standorten war die Pandemie ein herber Rückschlag. „Es war nicht nur die gedrückte Stimmung, die die Menschen belastet hat, sondern vor allem auch der Wegfall der persönlichen Treffen und gemeinsamen Aktivitäten“, sagt Teresa.

Belastungsfaktor: digitales Arbeiten im Home Office

Als die Monate ins Land zogen und sich die Menschen nach wie vor nicht persönlich treffen konnten, habe die Situation angefangen, an allen Beteiligten zu zerren. Eine digitale Müdigkeit setzte ein, viele haben unter der Isolation gelitten. „Manche Ehrenamtliche haben sich dann zurückgezogen, weil sie zu belastet waren.“ Bei den Tandems seien die Zahlen 2021 deutlich nach unten gegangen. Eine unfassbar anstrengende Zeit sei das gewesen, sagt Teresa, auch für sie selbst, weil die Arbeitswelt sich so rasant verändert hat. Das erste bundesweite Treffen in diesem Jahr habe gezeigt, dass in den kommenden Monaten und Jahren viel Aufbauarbeit nötig sein wird, so Teresa. „Viele sind es nicht mehr gewöhnt, mit so vielen Menschen in Kontakt zu kommen. Unsere Ressourcen sind schneller aufgebraucht und wir sind belastet durch zu viel digitale Arbeit.“ Daher sei es nun die Aufgabe der Organisation, die Menschen zu stärken und Netzwerke wieder aufzubauen.

Helfen wollen, aber wie?

Doch mitten in dieser Aufbauarbeit, ist ein Krieg in Europa ausgebrochen, der für Start with a Friend „ein Schock“ war, so die Vorständin. „Natürlich haben wir uns als Organisation, die im Bereich Flucht und Migration agiert, direkt gefragt, was wir tun, wie wir helfen und das Ankommen der Menschen erleichtern können.“ Die Organisation wollte ein Angebot schaffen – unbedingt. „Die Herausforderung ist dann tatsächlich innezuhalten, sich zu fragen: Was ist realistisch für uns, was können wir anbieten, wo liegen unsere Grenzen und an welcher Stelle können wir stattdessen Wissen zur Verfügung stellen?“, sagt Teresa. Denn fehlende Sprachkenntnisse schaffen Barrieren, die allein durch guten Willen, nicht zu überwinden sind. „Wer bei uns mitmachen will, braucht grundlegende Deutsch- oder zu mindestens Englischkenntnisse, damit die Menschen sich untereinander verständigen können.“

Für Start with a Friend stellte sich die Frage: Müssen die eigenen Prozesse angepasst werden? Übersetzende wären eine mögliche Lösung gewesen. „Aber dann hätten wir für alle unsere Kund:innen übersetzen müssen.“ Eine Grenze zu ziehen, nein zu sagen und das Angebot wirklich nur an Menschen zu richten, die grundlegend Deutsch oder Englisch zu sprechen, sei allen schwer gefallen.

Keine unüberlegten Ad hoc-Maßnahmen

Doch eine andere kurzfristige Lösung gab es nicht. „Ich glaube, in gemeinnützigen Organisationen verlieren die Menschen leicht das Gefühl dafür, was eigentlich die normale Belastung ist“, sagt Teresa. Die Strukturellen Herausforderungen seien hoch, im Arbeitsalltag gebe es oft viele Unsicherheiten, wie beispielsweise an Projektlaufzeiten gebundene Fördermittel oder auch kurzfristige Finanzierungen. „Es ist ein Kreislauf, aus dem man schlecht rauskommt, weil es diese Grassroots-Mentalität im Sinne von „Wir schaffen das“ gibt und immer wieder neue Projekte anstehen.“ Auch das partizipative Arbeiten, die hohe Eigenverantwortung und die vielen Kommunikationswege seien erschwerende Faktoren. „Daher würde ich anderen Organisationen raten, ein gemeinsames Bewusstsein für Belastungen und eine gesunde Normalität in der Arbeit zu schaffen.“ Gesundheitsprävention sei wichtig. Dazu gehöre auch, in Krisenzeiten, in denen alle ad hoc helfen wollen, innezuhalten, und erst die passenden Strukturen zu schaffen, bevor Angebote gemacht werden.

Artikel: Kristin Kasten

Christine Langer

Christine Langer ist bei der Stiftung Bürgermut als Projektkoordinatorin bei openTransfer #Patenschaften tätig. Sie studierte Internationale Entwicklung und Koreanologie in Wien und Seoul (Südkorea) sowie Gender Studies in Berlin (MA Gender Studies). Während ihrem Studium begann sie beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) zu arbeiten wo sie nach ihrem Abschluss das Mentor:innen Programm für queere Geflüchtete leitete. Privat engagiert sie sich im Bereich (Queer-)Feminismus und Fußball.

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