Meine Stadt besser machen – Die Veränderung geschieht gemeinsam
Teile der Gesellschaft scheinen das miteinander Diskutieren verlernt zu haben. Wie man es ihnen wieder nahebringen kann, zeigt die Körber-Stiftung mit einer einfachen Frage: Wie können wir unsere Stadt gemeinsam besser machen? Über eine Idee mit Massenwirkung.
Wie wäre es, wenn Menschen aus einem Kiez gemeinsam überlegen, was sie in ihrem Viertel oder in ihrer Stadt verbessern wollen? Ein Vorschlag, der beim ersten Hinhören vielleicht banal klingt. Kommen nicht allerorts Menschen zusammen und reden darüber, wie sie leben wollen? „Nein“, sagt Hannes Hasenpatt, Programmleiter Demokratie in der Körber-Stiftung, „Medien berichten von einer Spaltung der Gesellschaft. Ob es die wirklich gibt, kann ich nicht sagen. Wir beobachten aber, dass diejenigen Organisationen, in denen sich früher die Diskurse über gesellschaftliche Themen abgespielt haben, deutlich an Relevanz verlieren.“ Mit Diskursen meint er die großen gesellschaftlichen Themen wie Migration, Klimawandel oder das Aufkommen der AfD. Sie werden seltener in Institutionen wie Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen verhandelt, die früher selbst in den kleinsten Orten Menschen erreichten. Hier wurde diskutiert, debattiert und verhandelt – von Angesicht zu Angesicht.
Zwei Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstehen
Heute findet man vielerorts noch die Freiwillige Feuerwehr als einen der wenigen gesellschaftlichen Akteure. Diskutiert wird im Internet, in den sozialen Medien, in Chatgruppen – dies aber häufig in einer Form, die entweder nur die eigene Meinung unterstützt oder aber Aggressionen und Dissonanzen steigert. Ein wirklicher Austausch und eine Begegnung mit wechselseitigem Verständnis fehlen häufig. Einer aktuellen Studie der Universität Münster zufolge sind circa 34 Prozent der Bevölkerung in Deutschland in zwei Lager gespalten, die sich in diversen politischen wie gesellschaftlichen Fragen unversöhnlich gegenüberstehen. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund der Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder stärken? Diese Frage stellte sich die Körber-Stiftung und kam auf die Idee eines besonderen Dialogformats für Bürger:innen. „Wir wollten zeigen, dass Demokratie nicht nur heißt, zur Wahl zu gehen. Demokratie kann auch heißen, Menschen an Entscheidungen zu beteiligen und ihre Sichtweisen mit einzubeziehen“, so Hannes Hasenpatt.
Es gibt ein Bedürfnis nach Nachbarschaft
„Wie wollen wir unser Zusammenleben gestalten und wie können wir unsere Stadt besser machen?“ Mit diesen Fragen suchte die Körber-Stiftung je einen zivilgesellschaftlichen Akteur vor Ort, mit dem sie zusammen das Dialogformat auf den Weg bringen konnte. In Halle (Saale) zum Beispiel war das die Bürgerstiftung und in der Lausitz das Kompetenzzentrum Forst. Im nächsten Schritt werden in einzelnen Kiezen oder Vierteln Gespräche mit Bürger:innen veranstaltet. Diese finden in Kneipen, Cafés oder im ländlichen Raum auch mal in Scheunen statt. „Eben das, was vor Ort am besten aufgenommen wird“, sagt Hasenpatt. Eingeladen wird über die sozialen Medien, über Presseartikel und über verschiedene Vereine, die in der Stadtteilarbeit tätig sind.
Die ersten Reaktionen, von denen die lokalen Partner berichten, fallen in der Regel positiv aus: „Die Menschen freuen sich über unsere Initiative, denn sie haben den Eindruck, dass Möglichkeiten der Begegnung verloren gegangen sind und dass es insgesamt an Bindekraft fehlt. Wir stellen also fest, dass es wirklich ein Bedürfnis nach Nachbarschaft und Austausch gibt“, berichtet Hasenpatt.
Ganz viele Ideen für eine bessere Stadt
Als nächstes sammeln die Organisator:innen Ideen und Anliegen. Dazu wird auch eine Website aufgesetzt. Hier fließen die Inspirationen für eine bessere Stadt zusammen und werden auf einer interaktiven Stadtkarte vermerkt. Da geht es um autofreie Sonntage, um Trinkwasserabfüllstationen, um das Verbot von Alkoholverkauf an Tankstellen nach 22 Uhr, um Orte, an denen man sich begegnen kann, ohne gleich etwas kaufen zu müssen, um schönere Parks, um Beutel für den Hundekot, um gestaltete Fußgängerwege – eben alles, was die Lebensqualität steigert und für mehr Gemeinwohl sorgen kann.
Die lokalen Initiator:innen clustern die Vorschläge und ordnen sie Oberthemen zu, sodass man dies im nächsten Schritt, bei den „Kneipengesprächen“ diskutieren kann. „In diesem Kreis setzen wir dann alle an einen Tisch, die beispielsweise Vorschläge zum Thema Mobilität gemacht haben oder zum Thema Wirtschaft oder Kultur und Freizeit“, erklärt Hasenpatt. Jedes Gespräch wird moderiert. Das wiederum übernehmen Anwohner:innen, die in einem Workshop eigens dafür ausgebildet werden. Im Ruhrgebiet kamen in dieser ersten Phase 1.249 Ideen zusammen.
Ideen werden in der Praxis-Werkstatt ausgearbeitet
Die zweite Phase besteht aus Praxis-Werkstätten, in denen die Bürger:innen die Erfolg versprechenden Vorschläge so konkret ausarbeiten, dass sie am Ende auch umgesetzt werden könnten. Nach einer großen Abschlussveranstaltung werden diese Vorschläge an die verantwortlichen Stellen übergeben. Das können die Bürgermeister:innen sein, das Landratsamt oder andere Verwaltungsstellen. Doch passiert mit diesen Vorschlägen auch etwas? „Uns ist es wichtig, dass nach den Gesprächen auch wirklich die Umsetzung der Vorschläge erfolgt, damit die Veränderung sichtbar wird“, sagt Hasenpatt.
In Stendal, in Sachsen-Anhalt, war es die örtliche Freiwilligen-Agentur Altmark, die das Projekt unter dem Motto „Stendal besser machen“ durchführte. Die Bertelsmann Stiftung war als zusätzlicher Umsetzungspartner mit an Bord. „Als wir mit dem Projekt angefangen haben, waren wir mitten in der ersten Corona-Pandemie-Welle“, erinnert sich David Messner von der Freiwilligenagentur. Deshalb fiel die Entscheidung, den gesamten Dialogprozess als „DigitalLabor“ durchzuführen. „Die Hürde, sich vor Zoom zu setzen, ist ungleich größer, als einfach in eine Kneipe zu gehen“, sagt Messner. Er musste ziemlich viele Gespräche führen und Werbung machen, bei den Wohnungsbaugenossenschaften, bei den Stadtwerken, bei Firmen. Er schrieb Newsletter, lud auf Instagram und Facebook ein, in den Tageszeitungen und im kostenlosen Generalanzeiger, dem er 13.000 Flyer beilegen ließ. „Von Jung bis Alt, ich habe versucht, alle Bürger:innen zu erreichen“, sagt Messner.
Eine Sitzbank mit Strom und WLAN
Die nächste Herausforderung war, dass manche Interessierte die Videokonferenzplattform Zoom nicht kannten oder kein Endgerät hatten, um teilzunehmen. „Deshalb habe ich bei einer Sprachschule angefragt. Diese haben uns ihre Computer zur Verfügung gestellt. Ich habe für einen kleinen Imbiss gesorgt und wer wollte, konnte dorthin kommen und – angeleitet – an der digitalen Veranstaltung teilnehmen“, sagt Messner. Die älteste Teilnehmerin war 81. Eine Reihe von Menschen mit Fluchterfahrung hat auch mitgemacht. Insgesamt seien in den Gesprächen über 90 Ideen besprochen worden. Über die Website kamen dann noch einmal 120 dazu. Sechs davon wurden in der zweiten Phase in den Praxis-Werkstätten weiterverfolgt. Sie wurden im Rahmen der digitalen Abschlussveranstaltung von „Stendal besser machen“ an den Oberbürgermeister, den Stadtratsvorsitzenden und den Landrat übergeben.
Eine davon wurde bereits umgesetzt. „Mitten in der Stadt steht nun eine neue Sitzbank mit Solaranlage“, sagt Messner. An dieser Bank kann man sein Smartphone aufladen, außerdem gibt es hier kostenloses WLAN. „Es soll ein Ort der Begegnung zwischen Jung und Alt, zwischen Tourist:innen und Menschen aus Stendal sein“, erklärt er. Die Bank selber ist eine Spende des örtlichen Energieanbieters.
Derzeit wird das Beteiligungskonzept von „Meine Stadt besser machen“ weiterentwickelt und demnächst pilotiert. Wer mehr über das Projekt sowie die Arbeit der Körber-Stiftung im Bereich Demokratie erfahren möchte, kann dies am einfachsten auf deren Homepage tun.
Ob in Halle, Hamburg oder Stendal, „es ist wichtig, dass die Menschen die Erfahrung machen, dass diese Ortsgespräche funktionieren“, sagt Hasenpatt. Diese Erfahrungen können dann in andere Nachbarschaften übertragen werden oder daraus können sich längerfristige Projekte entwickeln. Projekte, in denen Menschen in einen Dialog treten.
Genau diese Form des Austauschs braucht es, um die BürgerInnen in die Stadtentwicklung und die politische Verantwortung einzubinden und damit die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden. Ich bin begeistert und hoffe, möglichst viele MitstreiterInnen zu finden, die durch ihr Engagement unterschiedlichste Bevölkerungskreise inspirieren, um Einheit in der Vielfalt zu schaffen.