Durch Patenschaften Vielfalt leben

Quelle: Barbara Heddendorp

Ka nimmt an kreativen Kursen teil und hat bei seiner Patin Lina gelernt, wie man einen Erklär-Trickfilm über Assistenzhunde vertont. Nazrat ist als Teenager aus Afghanistan geflohen und teilt alles mit Karola, die ihn unterstützt hat, Deutsch zu lernen, seinen Hauptschulabschluss und eine Ausbildung im Straßenbau zu machen. „Omi ist Omi, ne, hilft sie gerne“, sagt Nazrat über Karola und strahlt dabei in die Kamera. Und Samira hat Dank der Unterstützung von Ella endlich Freude am Unterricht.*

Ka und Lina, Nazrat und Karola, Samira und Ella haben sich in Patenschaftsprojekten kennengelernt, die vom Bundesprogramm Menschen stärken Menschen gefördert werden. Zahlreiche weitere Geschichten von Menschen, die angekommen sind, voneinander gelernt haben und Freunde wurden, könnte man erzählen. Über 160 000 Patenschaften wurden seit dem Programmstart 2016 an über 700 Standorten initiiert.

Dass Patenschaften in hohem Maße Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und zu mehr gelebter gesellschaftlicher Vielfalt beitragen, da sind sich Catherine Knauf, Hamidou Bouba und Erik Rahn einig. Als Projektleiter:innen von Patenschaftsprojekten beim Bundesverband der djo – Deutsche Jugend in Europa (djo),  dem Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege, Empowerment und Diversity e.V. (VIW) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BaS) beobachten die drei seit Jahren, was möglich wird, wenn Menschen unabhängig von Alter, Herkunft, geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung, Beeinträchtigungen, sozialem, religiösem oder kulturellem Background zusammenkommen.

Erfolgreiche Patenschaften

Das Bundesprogramm Menschen stärken Menschen wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ins Leben gerufen, um Geflüchtete beim Ankommen in Deutschland zu unterstützen. 2019 öffnete es sich für alle Menschen, insbesondere Kinder und Jugendliche, aus prekären Lebensverhältnissen. Was die persönlichen Erfolgsgeschichten nahelegen, zeigt der Abschlussbericht Wirkungsanalyse zum Patenschaftsprogramm Menschen stärken Menschen: Das Programm, das auf ehrenamtliches Engagement setzt, ist ziemlich erfolgreich. 90 % der Pat:innen und 94 % der Mentees sind mit ihrer Patenschaft zufrieden. In 76 % der Fälle hat sich für die Pat:innen eine freundschaftliche oder familiäre Beziehung zu ihren Mentees entwickelt. Mithilfe ihrer Pat:innen haben 30 % ein Praktikum oder einen Job gefunden.

Sind Patenschaftsprojekte, da sie unterschiedliche Menschen zusammenbringen, prädestiniert, um eine vielfältige Gesellschaft zu fördern? Kann man von Patenschaften etwas über Vielfalt lernen?

„Ein Lernprozess für alle“

Durchaus, wenn man Hamidou Bouba folgt, dem Leiter des Projektes Vitamin P vom VIW. Für ihn ist Vielfalt „ein Lernprozess für alle. Vielfältige Begegnungen vermitteln uns, dass Menschen unterschiedlich sind und sein dürfen. Somit erleichtern Patenschaften diesen Lernprozess.“

Ein erster Schritt zu einer vielfältigen Gesellschaft ist, Vielfalt anzuerkennen und wertzuschätzen. Patenschaften gehen diesen ersten Schritt, findet Catherine Knauf von der djo. „Die Vielfalt ist da“, sagt sie, „doch nicht alle Menschen haben den gleichen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen“. So ist es kein Zufall, dass die Forderung, Vielfalt in Deutschland anzuerkennen und zu fördern, in den letzten Jahren lauter geworden ist. Neu ist sie nicht. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung nutzte den Begriff, um für marginalisierte Gruppen Zugang zu bestehenden Strukturen wie Bildung, dem Arbeitsmarkt oder Gesundheitswesen sowie Antidiskriminierungsgesetze zu erkämpfen. In den 1980ern entwickelte sich Vielfalt zu einem gesellschaftspolitischen Leitprogramm in Westeuropa und Nordamerika. Sie verheißt laut Inventar der Migrationsbegriffe „die Vereinbarkeit von unterschiedlichen politischen Zielvorstellungen wie der Optimierung von Produktivität, Antidiskriminierung und der Förderung eines konfliktarmen Zusammenlebens“. Wenn heute im zivilgesellschaftlichen Kontext von Vielfalt gesprochen wird, dann geht es meist darum, Teilhabe zu ermöglichen und Vorurteile sowie institutionelle Hürden abzubauen.

Quelle: Barbara Heddendorp

Bereicherung und Herausforderung

Vielfältige Begegnungen, so zeigen Patenschaften, bereichern und fordern heraus. Sie fördern gegenseitiges Verständnis und machen aufgeschlossener. Manchmal führen politische und religiöse Themen die Patenschaften aber auch an Grenzen. Die Beziehungen können mit ungewohnten Lebensformen konfrontieren und am Weltbild rütteln.

„Menschen, die durch eine Patenschaft Begleitung erhalten, haben deutlich erkennbar bessere Chancen, ihren Weg zu machen“, erzählt Erik Rahn, Leiter des Projekts Alt und Jung – Chancenpatenschaften der BaS. Und auch die Pat:innen profitieren. Die Begegnung mit Nazrat, so zeigt der Film Schaffen wir das? Erfahrungen aus fünf Jahren Chancenpatenschaften, hat Karola bereichert. Nicht nur schätzt sie den Einblick in eine andere Kultur. Sie berichtet auch von ihrem Lernprozess, sich in die Lebensrealität eines 16-Jährigen hineinzudenken, der von „unserer Kultur keine Ahnung hat“. Sie habe auch Fehler gemacht, aber die konnte sie gut wieder ausbügeln, erzählt die Seniorin und lacht.

Hautnah zu sehen, wie Fluchtgeschichten, Trauma und Trennung von der Familie ihre Mentees belasten und wie Behörden mitunter Integration erschweren, hat einige Pat:innen im Projekt Alt und Jung – Chancenpatenschaften politisiert. Andere haben ihre starke Leistungsorientierung reflektieren müssen und gelernt, individueller zu agieren, zu geben, was akut gebraucht wird, und auch vermeintlich kleine Erfolge zu feiern.

Auch für die beteiligten Organisationen ist Vielfalt ein Lernprozess. „Der Bundesverband der djo – Deutsche Jugend in Europa versammelt unterschiedliche Mitglieder deutschlandweit: Von Amaro Drom, einer Jugendselbstorganisation von Rom:nja und Nicht-Rom:nja bis zum kurdischen Kinder- und Jugendverband KOMCIWAN. Es ist unser Anspruch, alle Mitgliedsorganisationen mit ihren teilweise unterschiedlichen Interessen und Bezugspunkten zusammenzubringen“, sagt Catherine Knauf. In der Verbandszeitung werden Geschichten von möglichst allen Mitgliedern erzählt. Und mit der Kampagne Gesichter der djo wurde vor Kurzem die Vielfalt im Verband auf Social Media sichtbar gemacht. Zugleich ist sich Catherine Knauf bewusst, dass es immer Aspekte und Ausprägungen von Vielfalt gibt, die ein Verband nicht oder nur bedingt berücksichtigen kann. Queerness zum Beispiel spiele im Bundesverband bisher kaum eine Rolle. Es ist für Catherine Knauf daher ein Prozess, Vielfalt mitzudenken und blinde Flecken in der Organisation zu reflektieren.

Und wie fördern die Strukturen von Menschen stärken Menschen Vielfalt? Die 25 Projektträger kooperieren mit einer Vielzahl lokaler Organisationen. Somit sind an der Umsetzung unterschiedliche Akteure von großen Verbänden bis hin zu migrantischen Selbstorganisationen oder Kulturvereinen beteiligt. Dadurch werden über zahlreiche Anknüpfungspunkte viele Zielgruppen – Mentees wie Pat:innen – erreicht. Auch die Patenschaften setzen sich unterschiedlich zusammen. Pat:innen können Erwachsene, Senior:innen, Jugendliche oder ehemalige Mentees sein. Zudem lässt das Programm den umsetzenden Organisationen viel Spielraum, die Patenschaften zu gestalten. Je nach Community werden die Patenschaften teilweise sehr unterschiedlich angebahnt und realisiert. Insgesamt macht es das Programm den lokalen Initiativen leicht, sich zu beteiligen. Zum einen ist das Konzept der Patenschaften auch für kleinere Organisationen relativ einfach umzusetzen, zum anderen wird das Antragsverfahren bewusst niedrigschwellig gehalten. Die Organisationen selbst legen fest, wie viele Patenschaften sie vermitteln wollen und erhalten dafür eine Förderung.

Bild 1: zeigt eine diverse Gruppe von Menschen, die gut gelaunt in die Kamera schauen

Bild 2: zeigt eine ältere Frau, die mit einem kleinen Jungen ein Lebkuchenhaus bäckt

Bild 3: zeigt die Arme von zwei Menschen, die sich an der Hand fassen
Quelle: djo – Deutsche Jugend in Europa

Brücken in der Mehrheitsgesellschaft

Erik Rahn beobachtet, „dass die Projekte lokal weit über die Einzelpatenschaften hinaus strahlen und das soziale Klima positiv beeinflussen“. Ihr Engagement verstehen manche Senior:innen auch als Statement gegen Diskriminierung und Ausgrenzung.

Von der Wirksamkeit der Patenschaften ist auch Hamidou Bouba überzeugt. „Wenn die Kinder und Jugendlichen durch die Unterstützung ihrer Pat:innen bessere Noten und Abschlüsse schaffen, Praktika und Ausbildungen ergattern, studieren und gute Jobs finden, wirkt sich das direkt auf die Gesellschaft aus“, sagt er. Da die beteiligten migrantischen Vereine mit der Patenschaftsarbeit sichtbarer werden und sich vernetzen, gelingt es ihnen zunehmend leichter, das kommunale Geschehen etwa durch die Beteiligung an runden Tischen zu gestalten. „Die Patenschaftsprojekte“, sagt Hamidou Bouba, „bauen Brücken zwischen den migrantischen Communities und der Mehrheitsgesellschaft“.

Die Beispiele wurden dem Film Schaffen wir das? Erfahrungen aus fünf Jahren Chancenpatenschaften, der Broschüre Zusammen Wachsen von der djo sowie dem djo-Blogbeitrag Kreativ gemeinsam stärker werden – Die Zuckerwattenkrawatten und „Menschen stärken Menschen“ entnommen.

Artikel: Elisabeth Wirth

Lisa Klank

Lisa Klank ist bei der Stiftung Bürgermut als Projektkoordinatorin bei openTransfer #Patenschaften tätig. Sie studierte Amerikanistik (MA American Studies) und Soziologie an der Humboldt Universität Berlin und verbrachte ein Semester in Sydney. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie für die Berliner Tafel e.V. in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Anschließend war sie als Projektkoordinatorin im Bereich Kinder- und Jugenddelinquenz der Stiftung SPI in Berlin tätig.

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