Arbeiterkind.de: Falschrum wachsen
Wolf Dermann von ArbeiterKind.de auf dem open Transfer CAMP am 17.11.2012 in Berlin
Das Wachstum eines Projekts erfordert Anpassungen der internen Organisation. Weil sich ArbeiterKind.de in einem sehr hohen Tempo verbreitet hat, verlief die interne Steuerung nicht geplant, sondern musste immer wieder den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Dass diese Vorgehensweise vorteilhaft sein kann, zeigt der Erfolg von ArbeiterKind.de.
Was macht ArbeiterKind.de?
Dermann: ArbeiterKind.de unterstützt Schüler und Studierende, die als erste in ihrer Familie einen Studienabschluss anstreben.
[quote]„Schnelles Wachstum – und dabei nicht perfekt sein!“[/quote]
Um mehr Unterstützung zu erhalten, hat sich ArbeiterKind.de bei startsocial beworben und mit der Förderung innerhalb von vier Monaten eine Website umgesetzt. Bei der Konzeption der Website kamen einige Fragen auf: Wer stellt sich wie als Ansprechpartner zur Verfügung? Und wie werden die Informationen verbreitet? Als erstes gab es die Homepage mit Hinweisen für das Studium, die durch die startsocial-Betreuung in den ersten Monaten bis zur Konzeption begleitet wurde. Von den 2000 Euro Preisgeld konnten die ersten Flyer hergestellt werden. Der Launch der Website ArbeiterKind.de war von einer hohen Medienaufmerksamkeit begleitet. Dies wurde unter anderem durch den provokanten Namen erreicht. Die Journalisten lieben solche kurzen prägnanten Projekttitel, die sie gut vermarkten können. Durch die hohe Medienresonanz wurde Arbeiterkind.de schnell national bekannt. Viele Leute haben sich nach dem Launch mit dem Wunsch, Mentor zu werden, an Arbeiterkind.de gewandt.
[quote]“Ehrenamtspirit leben und verbreiten“[/quote]
Das Schwierige für ArbeiterKind.de war, dass in der Anfangszeit noch keine interne Infrastruktur vorhanden war. Dass sie nach außen Interesse weckten, war zwar gut, aber es kam die Frage auf, wie sich die Nachfrage erfüllen lässt. Anderes lief allerdings wie von selbst. Die Dynamik von außen verhalf ArbeiterKind.de zu seinem social network. Die Interessierten konnten ihre Kontaktdaten selbst eintragen. Da noch keine Schulungen oder Leitfäden angeboten wurden, riet ArbeiterKind.de dazu, dass sich die Interessierten im direkten Austausch lokal vernetzen. So entstand ein lokaler und sogar ein städteübergreifender Austausch. Interessierte vernetzten sich und empfahlen das Projekt weiter und/oder vernetzten sich mit Interessierten aus weiteren Städten – Gruppen bilden, Weitersagen, Kooperation war das Motto der Anfangsphase. Um mit der Idee erfolgreich zu sein, wollte ArbeiterKind.de ein internes niedrigschwelliges, hierarchieschwaches Modell aufbauen. Das bedeutet auch, dass Mentoren, Interessierte und Referenten sich bei der Plattform anmelden können und danach Zugang zu wichtigen offenen Dateien und E-Mails haben. Jeder ist gleichberechtigt und hat die gleiche Verantwortung. ArbeiterKind.de sieht dies als wichtiges Kriterium für ein schnelles Wachstum. Allerdings funktioniert dieses Modell nur bis zu einer gewissen Größe.
Das Projekt wird bekannter und größer
Als ArbeiterKind.de größer wurde und immer mehr Ehrenamtliche dazukamen, wurde im nächsten Schritt versucht, für Schulungen und Fortbilungen Gelder zu generieren – mit Erfolg: bei fast 50 Gruppen wurden Schulungen und Coachings durchgeführt. Außerdem wurde eine Qualitätssicherung eingeführt. Die Anforderungen wurden gemeinsam mit den Gruppen bestimmt. Zu Beginn wurden die Mentorenanschriften in Excel-Listen gesammelt. Erst mit der Online-Plattform opennetworx.org konnte vernetzt gearbeitet werden. Die Ansage war: „Trefft euch lokal, um den Projektzweck zu erfüllen, ohne Richtlinien!“ Sofort haben sich Aktive online angemeldet und national vernetzt gearbeitet. Die Gruppendynamik wurde durch digitale und reale Treffen gesteigert. Innerhalb der Ehrenamtsgruppen bestehen keine Hierarchien. Die Zentrale organisierte sich als gemeinnütziger Verein. Projektgelder konnten durch 50 Ehrenamtsgruppen akquiriert werden. Heute werden Schulungen durch Ehrenamtliche und Coaches durchgeführt. 2012 wurde ein Qualitätentwicklungsnachweis an 40 Schulen gemacht – eine Form der Evaluation, die bisher nicht wichtig war. Inzwischen gibt es ein professionelles Video und ein Infotelefon. Die Zentrale macht die Vorgabe, überparteilich an die Schüler in Schulen heranzugehen. Die Qualitätssicherung erfolgt durch Peer-Group-Sicherung, Trainings, jährliche Gruppenleitertreffen und gute Kommunikationsnetze von unten nach oben. Die Geschäftsführerin reist regelmäßig zu den Gruppen, um Kontakt zu halten und beim Aufbau der Gruppen zu helfen. In Österreich bildet sich gerade eine neue Gruppe, die direkt alle Flyer und Plakate aus Deutschland umgewandelt haben möchte. Arbeiterkind.de wünscht sich, dass sich auch hier der „schlichtere kostenneutrale Weg“ über das Internet etabliert.
Diskussion
Drei Kernkompetenzen eines Arbeiterkind-Mentors:
- freies Denken und Agieren der Mentoren, solange dies nicht dem Vorgehen von ArbeiterKind.de entgegensteht
- Hierarchiefreiheit / Laissez-faire-Ansatz
- Transparenz
Feedback aus dem Publikum:
Hierarchiefreiheit wird bei ArbeiterKind.de nicht gesehen, da die Steuerung der Organisation zentral erfolgt und alle Ehrenamtlichen um das Zentrum herum agieren.
Antwort von ArbeiterKind.de:
Arbeiterkind.de will die ehrenamtlichen Mitarbeiter nicht fest an sich ketten, sondern ihnen Freiraum lassen. Bei Fragen steht die Leitung natürlich jederzeit bereit. Es besteht lediglich eine formale Hierarchie, so kann das Projekt erfolgreich wachsen. Alle ehrenamtlichen Mitarbeiter sollen die Informationen von ArbeiterKind.de verbreiten, und das wie und wo sie wollen. Das macht den Laissez-faire-Ansatz aus.
Wie wird die Idee von ArbeiterKind.de verbreitet?
Verbreitet wird die Idee überwiegend durch die Website, mit dem offenen Angebot, direkt selbst mit einzusteigen. Zudem versucht ArbeiterKind.de, an die Zielgruppe direkt heranzutreten, indem nicht nur die Idee vorgestellt, sondern auch das Angebot verbreitet wird, Basistrainings für die Interessierten durchzuführen. So können Ideen entstehen oder sich darüber ausgetauscht werden, wie das Projekt transferiert werden kann und soll.
Tipp vom ArbeiterKind.de:
Derjenige, der die Idee ins Leben gerufen und diese erfolgreich entwickelt hat, darf niemals nur oben sitzen und zu den Mitarbeitern die Beziehung verlieren. Im Ehrenamt müssen sich alle auf der gleichen Ebene begegnen.
Was ist die Organisationsform von ArbeiterKind.de?
ArbeiterKind.de ist als gemeinnützige MiniGmbH mit einfacher Struktur organisiert. Der Frauenanteil unter den Mentoren beträgt 70%. Es wird erwähnt, dass der Staat für einen Studenten, der über Arbeiterkind.de sein Studium beginnt, ca. 100.000 EUR erhält.
Wie wird die ehrenamtliche Arbeit durchgeführt?
Schülerbeziehungen werden nicht 1:1 gefordert. Der dahinter stehende Gedanke ist, dass sich die Menschen finden sollen. Es besteht keine Verpflichtung, sich regelmäßig mit einer Person zu treffen. Wenn es eine enge Verbundenheit gibt, dann ergeben sich diese Treffen von selbst.
Welchen Tipp kann ArbeiterKind.de mitgeben?
Um erfolgreich zu sein, muss man sich stets selbst evaluieren. Oft scheitert dies an Zeit und Geld sowie daran, dass Evaluationsprozesse strukturiert und organisiert werden müssen.
Wie konnte der Start des Projekts finanziert werden?
Der Anfang kann auch mit wenig Geld organisiert werden, über eine kostenlose Internetseite oder ein kostenloses soziales Netzwerk, Discounter-Flyer oder -Plakate oder ein selbstgestaltetes Logo. Außerdem wurde bereits anfänglich viel Werbung über ArbeiterKind.de durch die Presse verbreitet. Großen Einfluss hatte hierbei die provokante, schlagkräftige Wortmarke.
Text und Video stehen unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht Kommerziell-Keine Bearbeitung 3.0 Unported Lizenz.
Foto: Holger Groß