betterplace lab: Potenziale der Digitalisierung für die Demokratie

Das Icon, das für Session-Dokumentationen steht.Katja Jäger von betterplace lab beim openTransfer CAMP #Digitalisierung am 22. Juni 2017 in Berlin
 

Democracy Tech bietet zahlreiche Chancen, Menschen stärker an den demokratischen Entscheidungsverfahren partizipieren zu lassen. Gute Beispiele dafür gibt es viele in Deutschland und auch der Blick in andere Länder lohnt. Was aber sind Erfolgsfaktoren für digitale Bürgerbeteiligung?

Im Arabischen Frühling im Jahr 2010 war das Netz der Held der Demokratie. 2012 konnten wir den ersten voll-digitalen Wahlkampf von Obama beobachten. Heute reden wir über Filter Bubbles, Fake News und Hate Speech. Haben wir sie uns so vorgestellt, die digitale Demokratie?

Krise der repräsentativen Demokratie, Vertrauensrückgang in politische Institutionen, sinkende Wahlbeteiligung. Die Liste der Krisen ist lang. Digitalisierung macht die Probleme sichtbar, verursacht sie aber nicht. Darin ist sich die Runde schnell einig.

Democracy Tech, so werden digitale Tools zur Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und Teilhabe genannt. Ihr großes Versprechen besteht darin, durch das Herstellen von Transparenz und Accountability Vertrauen zurückzugewinnen. Open Data, also der freie Zugang zu Daten, die von jedermann ohne Einschränkungen genutzt, weiterverbreitet und weiterverwendet werden dürfen, ist die wohl bekannteste Bewegung in diesem Zusammenhang. FragDenStaat.de und kleineAnfragen.de sind weitere Beispiele, die insbesondere das Recht auf Information unterstützen möchten.

Eine Frau in grauem Kleid steht in einem Semiarraum und spricht.

Teilhabe ermöglichen möchte lasst-uns-streiten.de, eine Dialogplattform der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, auf der man sich über politische Themen austauschen und miteinander ins Gespräch kommen kann. Das Projekt „aula – Schule gemeinsam gestalten“ richtet sich gezielt an Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen und möchte Demokratie erlebbar machen. Aber auch bei klassischen Beteiligungsverfahren, wie Bürgerhaushalten, gehören digitale Beteiligungsverfahren mittlerweile zum Standard.

Schließlich ermöglicht digitale Partizipation es uns, politisches Agenda-Setting neu zu denken. Einen kleinen Einblick boten drei internationale Fallstudien. LabHacker und eDemocracia sind brasilianische Beteiligungs-Tools. Von der Regierung initiiert, bieten sie virtuelle Communities, Live Chats und Echtzeitfragen bei Anhörungen. Außerdem kann kollaborativ an Gesetzesentwürfen mitgearbeitet werden. Klarer Vorteil: die politische Zustimmung ist vorhanden, was die Etablierung des Tools enorm erleichtert.

Auch die zweite Fallstudie, „Madame Mayor, I have an idea“ aus Paris verdeutlicht, dass politische Unterstützung sinnvoll und notwendig ist, um digitale Beteiligungsverfahren erfolgreich zu machen. Weitere Erfolgsfaktoren: eine kluge Kombination zwischen On- und Offline-Beteiligung und Transparenz über den Projektfortschritt. Nicht zuletzt deshalb weist „Madame Mayor“ weltweit die höchste Beteiligungsrate von Bürgerhaushalten auf.

Ein Online-Portal für parteiinternes Policy-Crowdsourcing bietet die isländische Piratenpartei mit x.piratar.is. Alle Policy-Vorschläge müssen über das Portal eingehen. Hat ein Vorschlag beim Voting mehr als 50 Prozent, wird es offizielle Parteiposition.

Aber auch in Deutschland tut sich mittlerweile einiges, wie zum Beispiel die Initiative D2030 oder der Bürgerdialog der Bundesregierung „Gut Leben in Deutschland“ zeigen.

Was lässt sich also aus den Fallbeispielen lernen?

(1) Wir sollten uns jedes Mal fragen: Braucht es in diesem oder jenen Fall digitale Beteiligung tatsächlich? Nichts ist schlimmer, als Engagement zu verbrennen.

(2) Ehrlichkeit ist enorm wichtig. Vorher überlegen, was hinterher mit dem Input der Bürgerinnen und Bürger passieren soll.

(3) Nur eine kluge Kombination von On- und Offline-Beteiligung führt zum Ziel.

(4) Stakeholder und Entscheidungsträgerinnen und -träger frühzeitig einbinden.

(5) Digitale Bürgerbeteiligung ist keine schnelle Lösung für tieferliegende Probleme.

(6) Die Benutzerin und der Benutzer stehen im Mittelpunkt.

Digitalisierung bringt ein mehr an Transparenz, so das häufig genannte Credo. Letztlich bringt aber „nur mehr Transparenz tatsächlich mehr Transparenz“, wie ein Teilnehmer treffend formulierte. Digitalisierung ist am Ende nur das Mittel, um Transparenz herzustellen. Digitale Tools sind gut, ersetzen aber nicht den Kooperationswillen der staatlichen Ebene.

Neben aller Euphorie gibt es auch Herausforderungen. Wie bekommt man Menschen dazu, Geduld zu haben und in den Dialog zu gehen, sei es on- oder offline? Bestimmte soziale Schichten, die sich früher nicht für Bürgerbeteiligung interessiert haben, werden dies aller Voraussicht nach auch digital nicht tun. Wie erreicht man diese Menschen und welche Rolle können digitale Tools in diesem Zusammenhang vielleicht doch spielen? Fragen, die alle Teilnehmenden mit nach Hause nehmen konnten.

http://www.betterplace-lab.org/

Foto: Milos Djuric

Sebastian Gillwald

Sebastian Gillwald ist Geschäftsführer bei der Stiftung Bürgermut. Er leitet dort die Projekte openTransfer und openTransfer #Patenschaften. Er hat Politik & Verwaltung und Anglistik/Amerikanistik an der Universität Potsdam sowie Europawissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder studiert. Anschließend arbeitete er für eine Kommunikationsagentur und ein gemeinnütziges Online-Portal für Flüchtlingshilfe und soziales Engagement in Potsdam.

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