Die Erfolgsgeheimnisse von wellcome-Gründerin Rose Volz-Schmidt

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210 Standorte in ganz Deutschland, rund 2.500 ehrenamtliche „Engel“, Koordinationsbüros in allen 16 Bundesländern: wellcome-Gründerin Rose Volz-Schmidt weiß, wie man eine soziale Idee groß macht. Hier verrät sie ihr Rezept: genaue Checklisten und kluges Netzwerken.

Am vierten Tag entlässt sie sich selbst aus dem Krankenhaus; eigentlich zu früh. Es war eine schwere Geburt. Ihre neugeborene Tochter hat Fieber, und sie selbst ist noch schwach. „Ich hatte mich intensiv auf meine Mutterrolle vorbereitet“, erinnert sich Rose Volz-Schmidt. Klar. Schließlich ist sie zu dieser Zeit selbst in einer Familienbildungsstätte beschäftigt. Und dann kommt doch alles anders. Ihr Mann ist beruflich viel unterwegs. Eltern und Schwiegereltern wohnen weit weg. 24 Stunden allein mit einem Säugling, allein mit Fragen und Problemen – das ist Stress pur. Dabei ist ein gelungener Start der Mutter-Kind-Beziehung entscheidend für die Zukunft des Kindes. Es ist das Jahr 1991. „Ich habe damals begriffen, dass der Bedarf an kurzfristiger Familienhilfe keine Frage von Bildung und Einkommen ist. Unser Sozialsystem geht aber davon aus, dass nur sozial benachteiligte Menschen Hilfe brauchen … und zwar immer und lebenslang“, sagt Rose Volz-Schmidt heute.

[quote] „Das ist das Größte und Wichtigste, was du jemals gemacht hast.“ [/quote]

In den kommenden Jahren entwickelt die junge Mutter die Idee ihres Lebens. Ihr ist von Anfang an klar: „Das ist das Größte und Wichtigste, was du jemals gemacht hast.“ Das Konzept ist bestechend einfach. Ehrenamtliche Frauen, selbst erfahrene Mütter, unterstützen junge Familien mit Rat und Tat in den ersten Wochen nach der Geburt. An einem oder zwei Tagen in der Woche schaffen sie den jungen Müttern ein paar Stunden Freiraum und helfen mit ihrer Erfahrung. Der Einsatz dieser ehrenamtlichen Helferinnen wird von einer hauptamtlichen Koordinatorin gesteuert. Für diese Hilfe muss niemand eine besondere Bedürftigkeit nachweisen. Sie steht jeder jungen Familie oder Alleinerziehenden nach der Geburt gegen eine geringe Gebühr zu.„Ich war nie der Meinung, dass der Staat zwischenmenschliche Hilfe und Zuwendung regeln sollte“, sagt RoseVolz-Schmidt.

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Foto: wellcome gGmbH Hamburg, Henning Bode

In ihrem Heimatdorf Liebelsberg im Schwarzwald war der Ortspolizist zugleich der Bürgermeister. Da kennt und hilft man sich. Ihre Idee soll Liebelsberg überallhin bringen, in Metropolen und Kleinstädte, in Landkreise und Ballungsräume. Rose Volz-Schmidt startet ihr Projekt 2001 in Hamburg und in Norderstedt, noch unter dem Dach ihres damaligen Arbeitgebers, einem evangelischen Bildungsträger. Der lässt sie ihren „Wochenbettservice“ zwar beginnen, stellt aber weder Geld noch zusätzliche Arbeitszeit zur Verfügung. Sie rechnet zu Beginn mit 40 bis 50 Familien. Es melden sich gerade mal fünf. Außerdem wollen die freiwilligen Helferinnen zwar gern mitarbeiten, sich aber nur ungern qualifizieren lassen. Hat Rose Volz-Schmidt den Bedarf überschätzt? Und am Ende gar sich selbst?

[quote]„Ich wollte das nebenberuflich machen, im Radius von einer Stunde Autofahrt.“[/quote]

Die Antwort kommt von unerwarteter Seite. Im gleichen Jahr gewinnt der „Wochenbettservice“ bei dem Sozialgründerwettbewerb startsocial ein Beratungsstipendium von McKinsey. Und überraschenderweise rücken die Unternehmensberater nicht nur mit Businessplänen und Excel-Tabellen an, sondern auch mit den richtigen Fragen. Rose Volz-Schmidt stellt ihre Arbeit auf den Kopf. Sie ersetzt den sperrigen Namen „Wochenbettservice“ durch wellcome, ein Wortspiel aus „willkommen“ und „gut ankommen“. Sie investiert in ein modernes Logo und in ansprechende Flyer. Sie wirbt in Arztpraxen und Apotheken. Sie hört damit auf, den Ehrenamtlichen – allesamt gestandene Mütter – den Umgang mit Säuglingen zu erklären und begleitet die Ehrenamtlichen stattdessen permanent bei der Arbeit. Schlagartig stößt sie auf Resonanz. wellcome ist angekommen. Gut angekommen. Das spricht sich herum, zunächst in Sozialarbeiterkreisen, schnell auch über Hamburg hinaus. 2003 bewirbt sich Rose Volz-Schmidt beim Sozialministerium in Schleswig-Holstein um Fördermittel für die Verbreitung ihres Modells.

An eine hauptberufliche Zukunft denkt sie nicht. „Ich wollte das nebenberuflich machen, im Radius von einer Stunde Autofahrt“, erinnert sie sich. Als das Ministerium die Finanzierung einer halben Personalstelle zusagt, bittet sie allerdings nicht nur um Geld. „Wenn Sie das zu Ihrer Sache machen, dann müssen Sie auch jedes neue wellcome-Büro mit mir zusammen eröffnen“, fordert sie von der damaligen Familienministerin Annemarie Lütkes. Seither ergänzt ein wichtiger Punkt die Übertragungs-Checkliste von wellcome: die Einbindung der Politik. Kein neuer wellcome-Standort wird ohne Grußworte von Bürgermeistern, Landräten und Ministern eröffnet. In allen Bundesländern haben die Sozialminister die Schirmherrschaften über die Landes-Teams. „Viele soziale Organisationen haben hier Berührungsängste und fürchten sich davor, vereinnahmt zu werden“, weiß Rose Volz-Schmidt. „Ich sehe das ganz anders. Wenn ich Politik beteilige, geht es nicht in erster Linie um Fördertöpfe. Viel wichtiger ist die Möglichkeit, mein Thema auf die politische Agenda zu setzen.“ 2006 ist das Jahr der Entscheidung. Immer mehr soziale Träger aus ganz Deutschland wollen wellcome-Teams gründen.

[quote]“Einerseits freute ich mich, dass es voran ging, andererseits fürchtete ich mich vor dem, was dadurch im beruflichen Umfeld passiert.“ [/quote]

Der eigene Erfolg treibt die Gründerin an ihre Grenzen. Sie leitet die wellcome-Geschäftsstelle noch immer ehrenamtlich. Doch inzwischen sind 40 Teams gegründet. Plötzlich sind Verträge notwendig, wo vorher ein Handschlag genügte. Aus den beabsichtigten Autofahrten in Norddeutschland nach Feierabend sind Flugreisen geworden. Das Bundeskanzleramt ruft an und bittet um die Schirmherrschaft für Angela Merkel. Preise und Auszeichnungen mehren sich. Rose Volz-Schmidt wird klar: „Ich passe nicht mehr ins System.“ Sie spürt den ersten Neid. „Ich hatte regelrecht Angst vor neuen Zeitungsartikeln und Auszeichnungen. Einerseits freute ich mich, dass es voran ging, andererseits fürchtete ich mich vor dem, was dadurch im beruflichen Umfeld passiert.“ Etwas Entscheidendes macht sie in dieser Phase richtig: Sie arbeitet auch im größten Stress des Wachstums permanent an den Qualitätsstandards, eliminiert Fehler, steuert nach, nimmt ständig die lokal neu gewonnenen Erfahrungen in die Checkliste auf und macht sie zur verbindlichen Aufgabe für neue Franchise-Nehmer. Kurz: Das Qualitätshandbuch wächst parallel zur Organisation. Heute ist es ihr wichtigster Rat an alle, die ihr Modell in die Fläche tragen wollen: permanent die Standards nachjustieren und für alle verbindlich machen.

„Geld ist meist nicht das entscheidende Problem beim Wachstum sozialer Organisationen. Das Nachsteuern des Systems ist viel schwieriger.“ Dieses Problem kennen beispielsweise die Tafeln in Deutschland. Bis eine große Unternehmensberatung das bundesweite Qualitätshandbuch fertig geschrieben hatte, waren in allen Winkeln der Republik bereits Tafeln entstanden. Die Folge: Fehler wiederholten sich, das Rad wurde vielerorts mühsam neu erfunden. Um Wildwuchs zu vermeiden, nimmt die Hamburger wellcome-Zentrale die gelegentlichen Alleingänge ihrer Partner sensibel und selbstkritisch auf. „Neulich hat jemand für sein lokales Team ohne Rücksprache mit uns eine App entwickelt. Das war für uns ein Zeichen, dass wir in diesem Punkt zu langsam waren und offenbar einen Bedarf in unserem System übersehen haben“, nennt Rose Volz-Schmidt ein Beispiel. Kurz: Der Begriff Selbstläufer klingt zwar gut, aber Selbstläufer sind auch gefährlich, wenn stabile Qualität in einem System wichtig ist. Wellcome sieht nur von außen betrachtet aus wie ein Selbstläufer. Das Erfolgsgeheimnis: das ständige Zusammenspiel zwischen zentraler Steuerung und Praxiserfahrung an der Basis. Ende 2006 geht Rose Volz-Schmidt den mittlerweile fast unvermeidlichen Schritt.

[quote]„Es muss immer Einen geben, der Wir sagt.“[/quote]

Sie gründet die wellcome gGmbH und ist fortan Unternehmerin. In den folgenden drei Jahren avanciert sie zum Star der Szene. Sie wird Social Entrepreneur des Jahres der SchwabFoundation, Ashoka Fellow, erhält das Bundesverdienstkreuz. Die Bundeskanzlerin bittet zum Gespräch. Bundespräsident Gauck widmet wellcome sein erstes Benefizkonzert. Rose Volz-Schmidt hat diesen Wirbel nicht gesucht, aber inzwischen weiß sie ihn zu nutzen. Auch dies ist ein Rat an soziale Innovatoren, die sich an die Verbreitung ihrer Modelle machen: Die viel beschworene Unabhängigkeit eines Modells von seinem Erfinder ist eine Illusion. „Es muss immer einen geben, der vorne steht und wir sagt“, zitiert sie einen klugen Satz ihrer Freundin Annemarie „Ami“ Dose von der Hamburger Tafel. Oktober 2012: Die inzwischen 15 Mitarbeiterinnen in der Hamburger Zentrale haben gerade die Festlichkeiten zum zehnjährigen Jubiläum hinter sich gebracht. Mit einem gesunden Mix aus Zuwendungen von Stiftungen und Unternehmen, geringen öffentlichen Mitteln, Kapital eines sozialen Investors und den Gebühren der Franchise-Partner ist wellcome solide finanziert. Der Anteil der eigenen Erträge wächst. Bräche morgen eine Säule weg, würde das System überleben.

210 wellcome-Teams arbeiten in Deutschland mit rund 2.500 ehrenamtlich engagierten „Engeln“. Rose Volz-Schmidt hat drei Stunden über die Karriere ihrer Idee gesprochen. Es ist zugleich ihre persönliche Karriere, Stolz ist ihr aber nicht anzumerken. Sie kann Menschen anstecken, doch die Hurra-Attitüde ist ihr fremd. Mit hanseatischer Nüchternheit hat die Wahl-Hamburgerin ihr Ziel im Blick: Sie will in einer Gesellschaft mit loseren familiären Bindungen eine Lösung anbieten. Wellcome zu verbreiten ist bloß der Weg dorthin. „Nur wer vom Bedarf her denkt, entwickelt ein System permanent weiter“, sagt Rose Volz-Schmidt. Den Bedarf für wellcome kennt sie seit 21 Jahren. So alt ist ihre erste Tochter.

 

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Uwe Amrhein

Uwe Amrhein hat die Stiftung Bürgermut gemeinsam mit dem Stifter Elmar Pieroth aufgebaut und ist heute ehrenamtlicher Vorstand. Hauptamtlich arbeitet Amrhein als Leiter des Generali Zukunftsfonds. Zuvor war er Referatsleiter Presse und Information beim hessischen Main-Kinzig-Kreis und Chefredakteur einer lokalen Tageszeitung in der Rhein-Main-Region. Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements gehört seit Jahren zu seinen Arbeitsschwerpunkten.

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