Sind Patenschaften auf Augenhöhe nur ein Märchen?
Session-Dokumentation – openTransfer CAMP #VielfaltStärken
Session von: Bernd Schüler (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, bagfa e.V.)
Fotocredit: Jasmin Valcarcel | openTransfer CAMP #VielfaltStärken
Die Session wurde von Bernd Schüler von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa e.V.) gegeben. Sie befasste sich mit der komplexen Thematik der Patenschaften, insbesondere mit Menschen, die fliehen mussten aus einer machtkritischen Perspektive. Empirische Studien zeigen, dass das Miteinander in solchen Tandem-Beziehungen häufig von Asymmetrien geprägt ist, was eine gleichberechtigte Interaktion schwierig oder gar unmöglich macht. Die Referent:innen und Teilnehmer:innen diskutierten verschiedene Ansätze und Herausforderungen, die diese Dynamiken mit sich bringen.
Ein Aufsatz von Verena Bauer sowie Arbeiten von Anke Freuwört lieferten die theoretische Basis für die Diskussion. Beide Autor:innen analysieren Patenschaften in der Geflüchtetenhilfe kritisch und beleuchten das Spannungsverhältnis zwischen Paternalismus und Empowerment. Besonders hervorgehoben wurde, dass solche Beziehungen oft asymmetrisch sind, da die beteiligten Personen über unterschiedlich viel kulturelles, soziales und ökonomisches Kapital verfügen und unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen machen. Diese Asymmetrien führen dazu, dass die Beziehungen häufig als Hilfsbeziehungen gelabelt und praktiziert werden.
Bauer identifiziert drei gängige Notlösungen, um mit der Asymmetrie umzugehen: die Normalisierung des Machtverhältnisses, die Einordnung der Beziehung als freundschaftlich oder familiär, und die Aufrechterhaltung der Illusion einer gleichberechtigten Begegnung. Diese Strategien tragen jedoch oft zur Reproduktion gesellschaftlicher Hierarchien bei, auch wenn dies den Beteiligten nicht immer bewusst ist.
Viele zwischenmenschliche Beziehungen sind von Asymmetrien geprägt. Die zentrale Frage sei, wie man praktisch mit diesen Asymmetrien umgehen und die Beziehung trotzdem gestalten kann. Das Spannungsfeld von Autonomie und Abhängigkeit, das Jonglieren unterschiedlicher Rollen wie Eltern, Freund:innen, Lehrkraft oder Therapeut:in, stellt hierbei eine besondere Herausforderung dar.
Es wurde diskutiert, wie die Verwertbarkeit von Personen in den Patenschaften eine Rolle spielt und welche traditionellen Vorstellungen von Helfen und Normierung in der Sozialarbeit existieren. Neue Patenschaftsprojekte, die als Räume des Empowerments fungieren, wurden als vielversprechende Ansätze angesehen. Ein machtkritischer Ansatz wurde als sehr fruchtbar wahrgenommen, um die Mentoring-Arbeit weiterzuentwickeln und die Strukturen zu verändern.
Ein zentrales Thema war, wie Pat:innen ihre eigene Rolle reflektieren und wie diese Reflexion in die Begleitung einfließt. Es wurde betont, dass Augenhöhe als Leitbild und Orientierung dienen sollte, nicht jedoch als statische Zustandsbeschreibung. Praktisch bedeutet dies, dass Pat:innen sich immer wieder in die Rolle der Lernenden begeben sollten. Die Entwicklung von Mentoring-Programmen sollte partizipativ erfolgen, indem die Zielgruppen stärker einbezogen werden. Die Evaluierung der Projekte und das Einholen von Feedback sind hierbei entscheidend.
Einige Projekte bestehen darauf, dass die Beziehung auf Augenhöhe stattfinden muss, was einen hohen Druck auf die Mentor:innen ausüben kann. Augenhöhe sollte jedoch auch als etwas Flexibles und Lösendes verstanden werden. Projekte, die Freundschaften initiieren wollen, sollten die latente Integrationsagenda reflektieren und dies in der Einführung und Begleitung thematisieren. Abschließend wurde angemerkt, dass Hierarchien bereits in den Patenschaftsvereinbarungen des Bundesprogramms angelegt sind und dass diese kritisch hinterfragt werden sollten.
Insgesamt bot die Session wertvolle Einblicke und praxisnahe Empfehlungen, wie Patenschaften trotz bestehender Asymmetrien konstruktiv gestaltet werden können.