Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort – Lotse/Lotsin für Menschen mit Behinderung

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Diana Ismail und Christiane Rischer auf dem openTransfer CAMP Inklusion am 23. März 2015 in Dortmund

Wie macht man neue Selbsthilfeangebote vor Ort bekannt, damit die Zielgruppe davon erfährt? Und wie vernetzt man sie mit bestehenden Anlaufstellen und Angeboten, ohne sie zu ersetzen? Diese Fragen beschäftigten uns in der Session mit dem Thema „Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort – Lotse/Lotsin für Menschen mit Behinderung“.

Viele Wege führen zum Ziel – so ist es auch bei neuen Selbsthilfeangeboten und –strukturen, die sich zunächst lokal verankern müssen. Mundpropaganda, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung können dabei helfen, den Bekanntheitsgrad eines Projekts zu erhöhen. Ziel ist es, diejenigen Menschen zu erreichen, die Unterstützung bei ihren alltäglichen Problemen und Herausforderungen möchten. Im Lotsenprojekt wären dies Menschen mit Behinderung, die sich im „Behördendschungel“ nicht zurecht finden oder Hilfe auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben benötigen.

openTransfer CAMP #Inklusion

Das Lotsen-Projekt

Das Lotsen-Projekt besteht seit 2010 und wird von MOBILE – Selbstbestimmtes Leben Behinderter e. V.  in Dortmund und dem Zentrum selbstbestimmtes Leben Köln getragen sowie vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales gefördert. Konzipiert ist das Projekt als Zusatzangebot zu den bestehenden (oder fehlenden) lokalen Strukturen für Menschen mit Behinderung. Die mittlerweile 74 Lotsinnen und Lotsen – selbst (in-)direkt von einer Behinderung bzw. chronischen Erkrankung betroffen – dienen als erste Ansprechpartnerinnen und -partner in der jeweiligen Region.
Ausgebildet in Schulungen und unterstützt durch einen Rechtsanwalt geben die ehrenamtlichen Lotsinnen und Lotsen Hinweise auf mögliche Rechtsansprüche und weisen auf geeignete Anlaufstellen in der Verwaltung hin. Hilfreich sind hierfür die eigenen Erfahrungen, die die Lotsinnen und Lotsen mit einer chronischen Erkrankung und/oder Behinderung gemacht haben und durch die Beratung weitergeben. Ziel ist ein niederschwelliges Informationsangebot, das seinen Schwerpunkt auf den persönlichen Austausch legt.

Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit

Neben der Bildung von Regionalgruppen soll insbesondere eine intensive Öffentlichkeitsarbeit das Angebot regional verbreiten und bekannt werden lassen. Jedoch zeigte sich schnell: Das Auslegen von Flyern und Einladen der Lokalpresse zu wichtigen Veranstaltungen hat seine Grenzen. Fehlt dem Projekt zum Beispiel die persönliche Note, weil man auf die Veröffentlichung einzelner Lebensgeschichten der Betroffenen verzichtet, findet der Artikel über das Projekt nur schwer Einzug in die (über-)regionale Presse.
Noch schwieriger wird die Steigerung des Bekanntsgrades in Städten, in denen zumeist ein Überangebot an sozialen Projekten und Unterstützungsmaßnahmen herrscht. Hier sehen die Session-Teilnehmenden Bedarf an zentralen Stellen, die sowohl on- als auch offline das vielfältige Angebot bündeln und auflisten.

Lokale Verankerung und Vernetzung

Eine der Hauptfragen in der Session war, warum das Lotsen-Projekt nicht stärker die Einbindung in kommunale/städtische Strukturen sucht – sei es die jeweilige Verwaltung oder ein gemeinnütziger Träger. So können die Ressourcen und Kontakte besser genutzt und geteilt werden, was wiederum die Bekanntheit des Angebots vergrößert.
Die Diskussion offenbart zwei wesentliche Gegenargumente: Zum einen könnte die Unabhängigkeit des Angebots eingeschränkt werden, indem man sich „unter dem Dach“ eines anderen befindet und deren Regeln folgen müsste. Zum anderen besteht das Projekt in erster Linie aus ehrenamtlichen Lotsinnen und Lotsen. Möchte man das Projekt nun in institutionelle Strukturen bringen, würde dies mehr Zeit beanspruchen und damit hauptamtliche Strukturen nötig machen.
Außerdem kann die Akzeptanz bei den kommunalen bzw. Stadtverwaltungen unterschiedlich ausfallen: So stellen manche Verwaltungen Räumlichkeiten für die Sprechstunde der Engagierten zur Verfügung oder lassen die Sprechstunden-Zeiten in der Lokalzeitung veröffentlichen. Andere wiederum sehen das Lotsen-Projekt als Konkurrenzangebot zu den eigenen staatlichen Strukturen und sehen von Kooperationen jeglicher Art ab.

Strukturen ergänzen statt ersetzen

In der Session wird deutlich, dass Selbsthilfeangebote immer auch eine Gradwanderung zu bestehen haben, insbesondere wenn sie Unterstützung in Handlungsfeldern vorhalten, für die es auch offizielle staatliche Stellen gibt. So betonten auch Diana Ismail und Christiane Rischer: Die Unterstützung durch die Lotsinnen und Lotsen ersetzt keine professionelle Beratung oder den Kontakt mit Behörden sowie die jeweiligen Anträge. Sie dient als erste Informations- und Motivationsquelle von selbst betroffenen Menschen, die als WegbegleiterInnen unterstützen möchten.

 http://www.mobile-dortmund.de

Foto: Andi Weiland

Elisabeth Pfaff

Aufgewachsen im westfälischen Münsterland, zog es Elisabeth Pfaff nach ihrem Bachelorstudium der Europäischen Studien in Osnabrück zum Master in den Süden. Während ihres Studiums der Osteuropastudien an der LMU München und der Universität Regensburg widmete sie sich dem Thema Demokratie und Zivilgesellschaft in postkommunistischen Staaten. Um nicht nur in der Theorie zu verbleiben, engagierte sie sich zuletzt ehrenamtlich als Nachhilfelehrerin für Kinder mit Lernbehinderung. Aktuell sammelt sie bei der Bertelsmann Stiftung erste Berufserfahrung im Stiftungssektor.

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