Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Akquise von Ehrenamtlichen bei ArbeiterKind.de

Patenschafts- und Mentoringorganisationen haben in den Corona-Jahren viele Engagierte verloren. Nun müssen ehemalige Ehrenamtliche reaktiviert und neue gefunden werden. Welche Strategien bei der Akquise erfolgreich sind, erzählt Lisa Maria Dziobaka, Bundeslandkoordinatorin NRW-West bei ArbeiterKind.de. Die Organisation hat sich vor 15 Jahren gegründet und in Deutschland zur größten Organisation für Studierende der ersten Generation entwickelt.

Liebe Lisa Maria, die Corona-Pandemie hat die Akquise von neuen Ehrenamtlichen für viele Vereine und gemeinnützige Organisationen deutlich erschwert. Inwieweit wart ihr bei ArbeiterKind.de davon betroffen.

Das war auch für uns keine leichte Zeit. Die Hauptarbeit unserer Ehrenamtlichen ist es, in die Schulen zu gehen und dort vom Studium zu erzählen, Erfahrungen zu teilen, Mut zu machen. Das ist unsere Basis und die ist weggefallen. Also mussten wir überlegen, ob wir unsere Angebote auch im Digitalen umsetzen können. Aber die Frage war: Wie attraktiv ist ein digitales Engagement eigentlich für neue Engagierte? Denn wer sich für ein Ehrenamt entscheidet, will auch etwas zurückbekommen. Kein Geld, aber in der Regel doch zumindest ein dankbares Gesicht oder in unserem Fall auch die Erkenntnis, Ratsuchende in einem persönlichen Gespräch für die Idee eines Studiums begeistert zu haben.

Aber diese Nähe fehlt im digitalen Raum. Eine weitere Hürde war unsere Sichtbarkeit. Wir waren vor Corona oft bei Veranstaltungen an Hochschulen und Unis unterwegs und konnten dort viele neue Ehrenamtliche erreichen. Plötzlich mussten wir darauf hoffen, dass jemand unsere Webseite findet.

Was war schwieriger: Ehrenamtliche halten oder neue gewinnen?

Das hat sich die Waage gehalten. Wir haben einige Ehrenamtliche verloren, weil das digitale Engagement für sie nicht interessant war. Zumal sich in der Corona-Zeit viele Menschen neu orientiert und sich gefragt haben: Was will ich eigentlich? Was sind jetzt gerade meine Themen? Sie haben sich ein bisschen mehr sich auf sich selber konzentriert, was auch völlig in Ordnung war. Was für mich wichtig war: Ich wollte meinen Ehrenamtlichen Sicherheit geben, habe ihnen gesagt, du musst dich jetzt nicht schlecht fühlen, weil du das gerade nicht leisten kannst. Auf der anderen Seite haben wir auch neue Ehrenamtliche gewonnen, die durch die „Pandemie-Pause“ und den damit einhergehenden fehlenden Freizeitangeboten, plötzlich ein bisschen mehr Zeit hatten.

Wie habt ihr die neuen Ehrenamtlichen ins Team integriert?

Das Ankommen im Ehrenamt ist ein wichtiger Schritt. Wie werde ich aufgenommen? Welche Möglichkeiten bietet das Engagement? Was erwartet mich? Für unsere neuen Engagierten haben wir daher Einstiegs-Webinare organisiert. Dort konnten sie uns und unsere Organisation kennenlernen, Fragen stellen und Kontakt zu anderen Engagierten knüpfen. Diese Webinare wurden so gut angenommen, dass wir sie jetzt bei uns etabliert haben und sie im digitalen Raum fortführen. Das Praktische: Die digitalen Aktionen können wir deutschlandweit durchführen, weil sich unser Engagement in den Bundesländern nicht unterscheidet. Es kann also jede:r ortsunabhängig mitmachen.

Und auch die ersten Schritte innerhalb des Engagements gehen wir gemeinsam mit unseren neuen Engagierten. Wir schauen dann zunächst, was sie einbringen können in die Gruppe, wo ihre Stärken liegen.

Mittlerweile sind fast alle Corona-Beschränkungen aufgehoben. Wie geht es bei euch weiter?

Wir merken gerade, dass wir an vielen Stellen zurück in den alten Trott müssen. Die Präsenzveranstaltungen sind ein wichtiger Baustein für uns. Alle Gruppen treffen sich einmal im Monat zu einer Art offener Stammtisch, wo auch Ratsuchende oder neue Ehrenamtliche dazu kommen können. Dieses Zusammenkommen, die Nähe und dieses Gefühl der Gemeinschaft ist ganz wichtig. Denn ein Ehrenamt ist nicht nur ein Geben, sondern immer auch ein Nehmen. So haben wir beispielsweise eine Promotionsgruppe, in der sich die Ehrenamtlichen gegenseitig unterstützen.

Wie können Ehrenamtliche reaktiviert werden?

Wir lassen unsere Tür offen. Das sagen wir Engagierten, die pausieren wollen, auch immer: Ihr könnt jederzeit zurückkommen. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir die Ehemaligen anrufen, ein Zoom-Gespräch oder ein persönliches Treffen mit ihnen vereinbaren. Dabei unterstützt uns auch unser Netzwerk, denn oft reaktivieren Engagierte andere Engagierte. Doch damit ist es nicht getan. Ehrenamtlichen, die wieder einsteigen, hilft es, wenn wir mit ihnen auf das Spielfeld gehen, also in unserem Fall in die Schulen. Da sehe ich mich als Treiberin für unsere Ehrenamtlichen. Wenn ich vorangehe, fällt es ihnen leichter, wieder den ersten Schritt zu machen.

Welche neuen Chancen bieten die Veränderungen durch die Pandemie?

Am Anfang hatten wir Angst, dass wir nicht so attraktiv sein könnten für neue Engagierte, weil wir keinerlei Präsenzveranstaltungen hatten. Aber wir haben festgestellt, dass die digitalen Angebote für viele Engagierte eine gute Ergänzung zu unseren Präsenzveranstaltungen sein können. Ehrenamt ist für viele Menschen immer noch etwas, das nebenbei laufen muss. Das machen Leute, die in ihrer knappen freien Zeit etwas Gutes tun wollen. Doch auch wenn wir positiv überrascht waren, wie gut das digitale Engagement funktioniert, wollen wir das Digitale wieder etwas zurückfahren. Vor allem unter uns Koordinator:innen hat es in den Pandemie-Jahren überhandgenommen. Die ständige Erreichbarkeit, die Schnelllebigkeit, die vielen Online-Meetings – das alles kann auslaugen und der mentalen Gesundheit schaden.

Welchen Tipp für die Akquise von Engagierten hast du für andere Organisationen?

Den gleichen Tipp, den ich allen Menschen mitgebe: Sprecht über das Ehrenamt, egal ob im Privaten, auf der Arbeit, im Sportverein oder auf Feiern. So bringt ihr vielleicht auch andere Menschen auf die Idee, sich zu engagieren. Das klingt banal, bewirkt aber viel.

Artikel: Kristin Kasten

Christine Langer

Christine Langer ist bei der Stiftung Bürgermut als Projektkoordinatorin bei openTransfer #Patenschaften tätig. Sie studierte Internationale Entwicklung und Koreanologie in Wien und Seoul (Südkorea) sowie Gender Studies in Berlin (MA Gender Studies). Während ihrem Studium begann sie beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) zu arbeiten wo sie nach ihrem Abschluss das Mentor:innen Programm für queere Geflüchtete leitete. Privat engagiert sie sich im Bereich (Queer-)Feminismus und Fußball.

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