Barrierefreiheit als Haltung – Anti-ableistisch Denken und Handeln

Workshop-Dokumentation – openTransfer CAMP #VielfaltStärken

Referent:innen: Agnieszka Habraschka & Gina Jeske

Foto: Jasmin Valcarcel | openTransfer CAMP #VielfaltStärken

Im Workshop „Barrierefreiheit als Haltung – Anti-ableistisch Denken und Handeln“, der von Agnieszka Habraschka und Gina Jeske geleitet wurde, wurde ein tiefes Verständnis von Behinderung und Ableismus entwickelt. Der Workshop fand in einem relaxten Format für ein entspanntes Workshop-Setting statt, um die Teilnahme für alle angenehm zu gestalten. Es gab verschiedene Sitzmöglichkeiten, und die Teilnehmenden konnten sich frei bewegen oder Stim Toys nutzen. Dies förderte eine inklusivere Atmosphäre für die Bedarfe möglichst vieler Teilnehmenden.

Hauptinhalte und Diskussionen

Menschenrechtliche Perspektive:

Es wurde sich den Themen Behinderung, Barrierefreiheit und Ableismus durch eine kritische Auseinandersetzung mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die 2008 in Kraft trat, genähert.

Im Workshop wurde ausführlich über Begrifflichkeiten der Deutschen Übersetzung der UN-BRK diskutiert. Die deutsche Übersetzung der UN-BRK wurde mehrheitlich von nicht-behinderten Menschen durchgeführt und beinhaltet problematische Übersetzungen. Zum Beispiel wurde „Participation“ mit „Teilhabe“ statt „Partizipation“ übersetzt, was im Vergleich zu Partizipation keine aktive Mitgestaltung von Regeln und Prozessen vermittelt. Es wurde außerdem deutlich, dass die Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen sehr gering war.

Im Workshop wurde ein Ausschnitt der sogenannten Schattenübersetzung betrachtet, um zu verdeutlichen, welche problematischen Vorstellungen und gesellschaftspolitischen Konzepte sich in bestimmten Begriffen der Übersetzung widerspiegeln.

Die Schattenübersetzung vermittelt ein Verständnis von Behinderung als eine Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren. Diese führen dazu, dass eine volle und wirksame Partizipation auf Grundlage der Gleichberechtigung an der Gesellschaft verhindert wird.

Es wurde deutlich gemacht, dass der Abbau von Ableismus in der Gesellschaft nur mit Betroffenen vonstattengehen kann: „nothing about us withou us!“

Es wurde in der Gruppe gesammelt, was alles unter Beeinträchtigung verstanden wird. Zusammengetragen wurde: chronische Erkrankungen, Sinnesbeeinträchtigungen, mentale Gesundheit, Lernschwierigkeiten, Bewegungsbeeinträchtigung/Mobilitätseinschränkungen, chronischer Schmerz

Im nächsten Teil des Workshops wurde auf unterschiedliche Barrieren eingegangen:

Einstellungsbedingte Barrieren sind strukturelle und individuelle Einstellungen, die Behinderungen verstärken.

Umweltbedingte Barrieren sind physische Hindernisse wie Berge oder unzugängliche Infrastruktur.

Es wurden außerdem verschiedene Modelle von Behinderung vorgestellt und kritisch beleuchtet:

Medizinisches Modell („Behindert-Sein“): Behinderung wird als persönliche Tragödie und medizinisches Problem betrachtet, das individuelle Anpassung an eine Norm erfordert. Ziel: individuelle Anpassung.

Soziales Modell („Behindert-Werden“): Behinderung wird als Ergebnis einer behindernden Umwelt und sozialer Unterdrückung gesehen, das Erfahrungen der Betroffenen und Rechte sowie Wahlmöglichkeiten betont. Ziel: sozialer Wandel.

Kulturelles Modell: Identitätspolitscher Ansatz, dabei wird Behinderung als Identität und empowernde Selbstbezeichnung verstanden.

Die Teilnehmenden des Workshops haben sich dann mit Ableismus und Privilegien reflektierend auseinandergesetzt:

Ableismus beschreibt nicht ausschließlich „Behindertenfeindlichkeit“, sondern beinhaltet individuelle, strukturelle und institutionelle Ebenen. Ableismus bezeichnet die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, die nicht in die Vorstellung einer vermeintlich körperlichen, geistigen und psychischen Normierung passen. Intersektional ist Ableismus oft mit Klassismus, Rassismus, Eugenik und Kapitalismus verwoben.

Nicht-behinderte Privilegien wurden reflektiert, wie z.B. der einfache Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, ohne zusätzliche Hilfsmittel das Internet zu navigieren.

Reflexion und Diskussion:

Die Teilnehmenden wurden dazu angeregt, ihre eigenen nichtbehinderten Privilegien zu reflektieren. Abschließend wurde über das Konzept „Inklusion“ reflektiert und diskutiert. Inklusion: Es ist nicht nur das Mitmachen, sondern das Mitdenken unterschiedlicher Perspektiven und Bedürfnisse. Die Struktur ist flexibel, passt sich den individuellen Bedürfnissen an.

Abschließend wurden gesellschaftliche Teilhabemodelle vorgestellt, besprochen und kurz problematisiert:

  • Exklusion: Ausschluss/Trennung von bestimmten Gruppen.
  • Segregation: Separierung und unterschiedliche Behandlung je nach Fähigkeiten und Eigenschaften.
  • Integration: Eingliederung in bestehende Strukturen. Gemeinsam aber nebeneinander.
  • Inklusion: Einschließen und gleichberechtigtes Mitgestalten, wobei dies oft als Utopie betrachtet wird.

Der Workshop betonte, dass Barrierefreiheit nicht nur eine technische oder infrastrukturelle Anpassung ist, sondern eine grundsätzliche Haltung und ein Menschenrecht. Er förderte das Verständnis von Behinderung aus verschiedenen Perspektiven und regte dazu an, ableistische Normen und eigene Privilegien kritisch zu hinterfragen. Barrierefreiheit als Haltung bedeutet, bewusst auf die Bedürfnisse und Rechte behinderter Menschen einzugehen, Repräsentation als wichtigen Schritt anzustreben und echte Partizipation sowie Mitgestaltung zu ermöglichen.

Daniel Männlein

Daniel Männlein ist Programmmanager im Programm openTransfer Patenschaften und gestaltet bundesweit Angebote für Patenschafts-, Mentoring- und Tandemprojekte. Er hat Sozialwissenschaften in Augsburg, Spanien und Berlin mit Schwerpunkt auf Stadt- und Migrationsforschung studiert. Vor seiner Tätigkeit bei der Stiftung Bürgermut sammelte er wertvolle Erfahrungen in der Projektförderung bei der Robert Bosch Stiftung, in der Projektarbeit bei zivilgesellschaftlichen Trägern und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert