ReplacePlastic – per App vom Konsumenten zum Aktivisten
Eine App macht Unternehmen Dampf, auf umweltfreundlichere Verpackungen zu setzen. Was die Plastikflut anrichtet, erleben die Macher:innen der App jeden Tag an der Nordseeküste.
Immer wenn Jennifer Timrott und ihre Mitstreiter:innen vom Verein Küste gegen Plastik in die Salzwiesen bei St. Peter-Ording steigen, kommt der Ärger hoch. Die Küstenbereiche ähneln regelmäßig Müllablageplätzen. Da sind zahllose Plastikflaschen, Styroporverpackungen oder alte Netze. Jennifer Timrott bringt es so auf den Punkt: „An der Küste fällt uns das Plastikproblem im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße.“
Die simple Erkenntnis: Wir produzieren schlicht zu viel Plastik. Und jede dritte Kunststoffverpackung gelangt in die Natur – jede Minute landet das Äquivalente einer LKW-Ladung in den Meeren, Tendenz steigend. Dabei kann Plastik nicht abgebaut werden, sondern zerfällt lediglich in immer kleinere Teile. Je nach Materialmix kann dieser Prozess bis zu 400 Jahren dauern.
„Der Kunde wünscht das so“ – tatsächlich?
Vor fünf Jahren gründete sich in St. Peter-Ording der Verein, der dem Wahnsinn etwas entgegensetzen will. Die Mitglieder von „Küste gegen Plastik“ waren sich einig, dass das Aufsammeln von Müll allein das Problem nicht löst. Timrott: „Wir müssen aufhören, ihn zu produzieren!“ Bislang reichen Unternehmen die Verantwortung oft an die Kund:innen weiter – nach dem Motto: Solange sie sich für das Produkt entscheiden, gibt es kein Problem. In Wahrheit fehlen den Konsument:innen beim Einkauf schlicht Alternativen zur üblichen Plastikverpackung.
Die Lösung: Der kleine Verein ließ eine App entwickeln, die Herstellern die Kundenwünsche nach einer nachhaltigen Verpackung übermitteln. Und das geht so. Hat man die „Replace Plastic“-App auf seinem Gerät installiert, können Verbraucher:innen den Barcode eines beliebigen Artikels abfotografieren, bei dem sie sich eine umweltverträglichere Verpackung wünschen. Die App löst dann automatisiert eine Nachricht an den Hersteller aus, in der das Anliegen formuliert ist. Auf diese Weise entsteht mit vielen Nutzer:innen so etwas wie Konsumentenmacht, an der die Produzenten im besten Fall nicht mehr vorbeikommen. Inzwischen erreichen 2-3.000 solcher Nachrichten den Verein – täglich. Über 600.000 waren es bislang.
Die Unternehmen reagieren sehr unterschiedlich auf das Kunden-Feedback. Einige verstehen die Ansprache als wichtiges Kundenfeedback und stellen tatsächlich Verpackungen um. Auf der Webseite des Vereins findet man bereits etliche Erfolgsstorys – vom Nudelherrsteller bis zur örtlichen Drogerie. Dort findet sich auch der Bericht einer Kosmetikfirma die ein Mehrwegsystem für die Gläser etabliert hat, in denen sie ihre Produkte verkaufen. Und auch die Nachhaltigkeits-Abteilungen großer Unternehmen freuen sich über den Rückenwind der Konsument:innen, wenn sie im Unternehmen Veränderungen durchsetzen wollen.
„Am Ende müssen wir zu einer Kreislaufwirtschaft kommen, in der Material möglichst mehrfach verwendet wird, ohne dass Müll entsteht und Ressourcen verschwendet werden“, ist sich Timrott sicher.
Kleines Team mit lauter Stimme
Die Macher:innen von Küste gegen Plastik sind darüber hinaus gefragte Vortragsredner:innen und Workshop-Referent:innen, sie gehen an Schulen und sind Mitglied im nationalen Runden Tisch Meeresmüll.
Aus den Müllsammelaktionen sind inzwischen richtige Social Days geworden. Dann kommt etwa eine Abteilung von Google Deutschland aus Hamburg nach St. Peter-Ording und lernt eindrucksvoll kennen, was Plastikvermüllung an der Küste bedeutet. Im besten Fall ändert das nicht nur das individuelle Einkaufsverhalten der Teilnehmenden, sondern auch die eine oder andere unternehmerische Entscheidung mit Reichweite.
Foto: Küste gegen Plastik e.V.