Amaryllis – so geht selbstverwaltetes Generationenwohnen
Gerd Höhnscheid-Gross, Amaryllis eG Bonn, beim opentransfer CAMP am 9. Mai 2014 in Köln
Stellen Sie sich vor, Sie wohnen an einem Ort, an dem sowohl Jung als auch Alt gemeinsam leben, sich gegenseitig unterstützen – und das Ganze auch noch zu bezahlbaren Preisen. Hört sich nach einer Utopie an? Nicht für Gerd Höhnscheid-Gross, Initiator und Mitbegründer der Amaryllis eG Bonn. In seiner Session erzählt er, wie eine solche Utopie Wirklichkeit werden kann.
Ausgangspunkt für die Initiierung eines selbstverwalteten Wohnenprojekts in Form eines Mehrgenerationenhauses war der Umstand, dass es immer mehr Menschen gibt, die nicht in klassischen Familienverhältnissen groß werden. Die Strukturen brechen auseinander, zusätzlich bekommt der demografische Wandel ein immer größeres Gewicht. Das Ergebnis: Familien, die Schwierigkeiten haben, ihre Kinder zu betreuen, ältere Menschen, die in Einsamkeit leben und eine Kluft zwischen Alt und Jung, weil kein Austausch zwischen den Generationen stattfindet. Für Gerd Höhnscheid-Gross waren das genügend Gründe, um Wohnen ganz neu zu denken. Das Ergebnis heißt heute Amaryllis und steht in Bonn. Hier leben 70 Menschen zwischen einem und 80 Jahren in insgesamt 33 Wohneinheiten. Den Weg von den ersten Überlegungen hin zur Umsetzung und dem Betrieb, inklusive der wichtigsten Learnings, stellte er in der Session vor.
Organisation und Personal
Neben einer passenden Standortwahl waren für die Gründung der Amaryllis eG eine hauptamtliche Projektkoordination sowie eine engagierte Kerngruppe entscheidend. Es bestätigte sich die Erkenntnis, dass einer den Hut auf haben muss, dass bei einer Person alle Fäden zusammenlaufen müssen. Zusätzlich ist es die Kerngruppe, die die Idee von Anfang an mit entwickelt hat und für die Stabilität im Projekt sorgt.
Wahl der Rechtsform
Neben den Entscheidungsstrukturen ist die Wahl der Rechtsform entscheidend. Hier stand zur Diskussion: ein Investorenmodell oder eine eingetragene Genossenschaft. Um möglichst unabhängig zu bleiben, und weil das Projekt von einem sozialen Gedanken getragen wird, haben sich die Amaryllis-Mitstreiter für ein Genossenschaftsmodell entschieden. So konnte sich jeder direkt an dem Projekt beteiligen. Auch Menschen in prekären Situationen wie Hartz IV ist es so möglich, Kapital zu binden.
Wahl der Mitglieder
Ziel des Projektes ist es, eine altersgemischte Gemeinschaft zu fördern, die sich gegenseitig unterstützt und gemeinschaftlich die Ziele der Genossenschaft umsetzt. So ist eine ausgewogene Altersstruktur überaus hilfreich. Bei der Amaryllis eG ist derzeit ein Viertel der Mitglieder über sechzig und ein Viertel unter zwanzig Jahre, der Rest liegt dazwischen. Der Umstand, dass schon in der Kerngruppe Familien mit kleinen Kindern vortreten waren, hat zu der gesunden Mischung beigetragen.
Voraussetzung für ein Leben in einem selbstorganisierten Mehrgenerationenhaus ist das aktive Mitgestalten aller und der gegenseitige Respekt. Das bedeutet auch: zusammen anpacken, wenn es um Renovierungsarbeiten geht, andere Mitglieder der Gemeinschaft bei unterschiedlichen Aufgaben unterstützen oder aber die Selbstverwaltung aktiv mitgestalten. Dabei ist es vor allem wichtig, dass die Bewohner gemeinsame Ziele und Visionen haben, sich aber auch im Alltag gut verstehen. Eine natürliche Fluktuation, die ebenso durch Todesfälle als auch durch berufsbedingte Ortswechsel entstehen, erfordern immer wieder gut geplante Auswahlgespräch mit Neumitgliedern.
Stand alone oder wirkungsvolles Beispiel für andere?
In seiner Session betonte Gerd Höhnscheid-Gross immer wieder die enorme Strahlkraft des Projekts. Von allen Seiten gibt es Zulauf: Sowohl junge als auch ältere Bewerber stehen Schlange. Vor allem aber sind die Effekte des solidarischen Wohnens innerhalb der Gemeinschaft klar erkennbar. Die Bewohner vernetzen sich, und Altersunterschiede lassen Synergieeffekte entstehen. Die Älteren passen auf die Kinder auf, und die Jungen helfen weniger mobilen Mitgliedern bei ihren Besorgungen. Das Projekt entwickelt sich derzeit weiter: Vor allem Menschen mit größeren mobilen Einschränkungen und höheren Pflegebedarf werden mit Amaryllis Plus und Projekt Villa Emma adressiert.
Foto: Thilo Schmülgen