#NPO-Blogparade: Wenn die gute „Idee“ am Ende in der Partei mündet…
Der Weg eines partizipativen Bürgerhaushaltes in Gütersloh
“Warum tun wir uns so schwer damit, voneinander zu lernen: erfolgreiche soziale Projekte zu transferieren, Wissen zu teilen, gemeinsam mehr zu erreichen?” Mit dieser Frage beschäftigt sich die aktuelle Blogparade “Voneinander lernen in der Zivilgesellschaft”, die von openTransfer.de initiiert wurde.
Allein geboren…
Die einfachste Antwort wäre: wir kommen alleine auf die Welt und wir gehen auch alleine wieder. Ein konsequentes Lebensmodell, wenn man zwischen diesen Ereignissen auch alleine bleibt. – Aber das allein wäre misanthropisch.
…oder einfach privatisiert
Die etwas kompliziertere theoretische Antwort könnte lauten: „Gemeinsam“ können wir nicht mehr, weil wir im täglichen Leben zu Einzelgängern verkommen sind. Oder dazu gemacht wurden. Oder uns dazu haben machen lassen. „Individualisierung“ genannt, Identitäts- und Sinnfindung werden zur individuellen Leistung. Das „Wir“ in einer Gesellschaft verschwindet, jeder steht für sich: In der Schule, im Arbeitsleben, in Gesundheitsfragen, in der Freizeit: Wir sind Einzelkämpfer geworden. Die Privatisierung der Lebensbewältigung frisst die Kraft der Individuen – es bleibt nicht viel für die Gemeinschaft. Das aber hat System etwa durch einen Staat, der sich andererseits in den letzten Jahrzehnten darin übertroffen hat, zu reglementieren, zu kontrollieren, Verantwortung zu steuern. Das hat Viele zur absoluten Delegation von Verantwortung bewogen und eingelullt – dabei aber unmerklich schleichend vereinzelt, weil einige Wenige die Geschicke gelenkt haben und ein eigenes verantwortliches Aufpassen und Mitdenken nicht notwendig erschien. Diese selbst gewählte Unmündigkeit paart sich in Deutschland zudem gerne mit einer guten Portion Gehorsam, „Ballspielen verboten“ wird in der Regel strikt befolgt.
Und heute bündelt die Nation ihre Energie eher im kollektiven Baumarktbesuch sowie im Rasenmähen des eigenen kleinen Grüns als sich für eine gemeinsame Sache einzubringen. Einer mäht immer.
Gemeinschaft statt Rasen?
Was müsste also passieren, damit diese Energie des Rasenmähens plötzlich frei wäre für Gemeinschaft und wie kann dann Zivilgesellschaft plötzlich in der großen vernetzen und womöglich interaktiven Gemeinschaft funktionieren? Kann sie das überhaupt?
Das Netz
„Inzwischen ist es common sense, dass man im Austausch mit anderen am meisten erreicht.“ – so der Aufruf zu dieser Blogparade. Und er stimmt – trotz der skizzierten Vereinzelungstendenzen. Es gibt Inseln im großen Ganzen, auf denen sich schon einiges bewegt. Es werden mehr.
Ein Grund für diese Verschiebung der Inseltektonik ist das Internet. Das Netz ist die Verbindung der Wohnzimmersofas. Ein kuscheliger Ort, früher ein Alleinstellungsmerkmal für privates Homeing, ist heute Basis für (noch) unbeschränkte Kommunikation. Ich sitze dort und agiere. Wie etwa zur Blogparade. Es ist das Heraustreten und im Grunde das Wiederbeleben des öffentlichen Raumes. Neben dem neuen Medium, also dem Handwerkszeug für Kommunikation, haben sich unzählige reale Anlässe eingestellt, die das Misstrauen und die Frustration vieler Menschen befeuert haben und die sich u.a. in diesem neuen Raum „Netz“ treffen können. Die viel besungene Politikverdrossenheit ist ein Faktor, die unverschämte Banken- und Finanzkrise ist ein weiterer.
Mensch, Raum, Kommunikation und Anlässe treffen also zu einem passenden Augenblick zusammen. Das ist der erste Schritt, um gemeinsam mit anderen zu agieren. Es könnte also klappen, das Gemeinschaftliche…
Die partizipative Idee
Mal konkret: in meinem Fall war es so: (M)eine Stadt hatte ein finanzielles Defizit. (=Anlass) Ein klassisches Haushaltsloch. Es kamen professionelle Berater, die sollten es richten. Haben sie aber nicht geschafft. Dann kam die „best practise“, die Idee einer Bürgerinitiative (=Menschen), einen Bürgerhaushalt (=Tool) einzurichten. Weil gerade Kommunalwahl war, musste die Politik in den sauren Apfel beißen. Der Bürgerhaushalt in der ersten Runde war ein voller Erfolg. Die Menschen beteiligten sich (=Raum). Über die Beteiligungsquote wurde gestritten, aber der diskursive Aufbruch der Bevölkerung war spürbar. Es wurde zwar noch vielfach Rasen gemäht – aber auch mitgestaltet, Vorschläge gemacht, diskutiert, abgestimmt, zugehört. Ein Gemeinschaftsgewinn nach einer langen Flaute der Verantwortungsdelegation nach obigem Vorbild.
Dann folgte der Fehler: Die verantwortliche Politik erkannte die Tragweite eines solchen Mitspracheformates – und begann an den Schräubchen des Verfahrens zu drehen. So weit, bis die Zivilgesellschaft das Online-Portal nicht mehr als frei identifizierte, sondern als deutlich fremdgesteuert. Man hatte die Beteiligung dahin zurückgedrängt, wohin sie all die Jahre vorher verbannt war: hinter die Türen der Ausschüsse und politischen Gremien. Aus diesem Umweg haben die Bürger gelernt – und sich von sich aus wieder zurückgezogen. Das kollektive Gespür für Unaufrichtigkeit scheint also zu funktionieren.
Nicht alle wollen teilen
Die öffentliche Gegenwehr der Bürgerinitiative und zahlreicher Nutzer gegen diese Verriegelung des Internet wurde nicht gehört. Alles Reden von Vernetzung, Kooperation, Transfer verpuffte – u.a. weil auch die Lokalzeitungen ihren Essig in den Wein der Beteiligung gekippt hatten: Das Internettool „Bürgerhaushalt“ wurde schlecht geschrieben. Ein Grund: die tradierten Medien wurden mit dem Internet in neue Schranken gewiesen – durch Verlust an Deutungshoheit und Erstzugang zu Informationen vielleicht? Oder vielleicht, weil das Internet für viele Menschen ein eigenes Sprachrohr darstellte, vernetzt in den Social Media und damit unabhängig von einem Zeitungskommentar? Das schmerzte die Presse offensichtlich. Der Graben zwischen online-Welt und offline-Welt wurde künstlich vertieft, damit am Ende alle verlieren würden.
Und die politischen Parteien? Diejenigen, die sich einst in der repräsentativen Demokratie für diese Öffnung durch das Internettool eingesetzt hatten? Auch hier wurde deutlich, dass sie ihre „Macht“ nicht gerne mit den Bürgern teilen wollten. Ihr Verriss an der bürgerschaftlichen Mitgestaltung war profund. Politik war plötzlich nicht mehr alleiniger Urheber von Ideen und Vorschlägen. Im Netz ist transparent, wer Ideen einbringt – und mit welcher Qualität. Damit war eine unsichtbare Linie überschritten, die gerade die politischen Parteien im Land gezogen hatten: Wir entscheiden.
Diese politische Ablehnung war auf der einen Seite sehr öffentlich, wenn überhaupt ein Politiker sich dazu äußerte, Totschweigen der partizipativen Idee war noch wirksamer. Auf der anderen Seite begannen die Versammlungen der Bürgerinitiative „Mehr Demokratie – für einen demokratischen Bürgerhaushalt“ aber jedoch immer politischer zu werden. Will heißen: immer weniger Bürger kamen, je mehr das Format diskreditiert wurde – und immer mehr Politiker kamen stattdessen! Am Ende saßen mehr Fraktionsmitglieder am Tisch als Bürger. Was eine Bürgerinitiative ad absurdum führt. Bevor es lächerlich wurde, löste sich der Restbestand der Bürgerinitiative selbst wieder auf. Um etwa der peinlichen Situation aus dem Wege zu gehen, eine Pressemitteilung gegen die negative Haltung der Parteien gerade mit den Parteien selbst abstimmen zu müssen, die ja nun mit am Tisch saßen! „Wir sind doch im Grunde auch Bürger“ als Argument war hier eher Groteske als Ernst.
Post-teilen – was kommt nach der Institution?
Was bleibt ist die Internetseite der Initiative „Demokratie wagen“: Die Aktiven haben den Zusatz „Bürgerinitiative“ fallen gelassen und nennen sich jetzt nur noch „Internetaktive“. Die Idee ist aber gleich geblieben: Eine Internetseite mit Inhalten zu Transparenz, Bürgerbeteiligung, Open Data und Open Government in einer Stadt. Hier können sich alle diejenigen informieren, die ähnliche Anliegen haben, die auch im kommunalen Rahmen eine Änderung der Haltung bewegen möchten. Eine gute Idee transferieren, Wissen teilen, aus Erfahrungen lernen möchten. Es gelingt. Nur leider virtuell und in verknappter Form: unter Ausschluss der repräsentativen Politik. Aber es ermöglicht den nicht Gewählten die Freiheit und die Macht, diese Informationen zu nutzen und in (eigene? neue?) Handlung umzusetzen. Wie auch immer das dann aussehen könnte.
Das steht übrigens ganz im Gegensatz zu Sascha Lobo, der auf der re:publica 2013 im Grunde zum Gang in die Politik und in Kooperationen aufgerufen hatte. Es funktioniert nur leider nicht so, dass man am Ende noch der oder die ist, die ein Thema angefangen hat – das Verbiegen der guten (sozialen/partizipativen) Idee ist vorprogrammiert. Der Einfluss der starren Parteistrukturen verhindert freie Dynamik. Opfergaben und Erhaltung parteiinterner Machtstrukturen lassen eine Menge an Wissen und Information versiegen, aus denen Bürger vieles für ihre Stadt gewinnen könnten. Gäbe es (immer als ersten Schritt) mehr und direkteren Zugang zu Informationen, brauchten viele Bagger erst gar nicht anzurollen. Es gäbe dann Alternativen. Und die müssten diskutiert werden. Mit allen. Das wäre ein guter Beleg, dass man zwischen Geburt und Sterben nicht zwangsläufig allein sein muss, sondern sich einsetzen kann, für die Gemeinschaft. Anlässe gibt es genug, trotz Rasen.