Flüchtlingsselbstorganisation & -unterstützung. Das große „Wie?“

Icon__btn_Dokumentation_grossAnnette Melzer, Unterstützerin der Sleeping Place Organisation beim openTransfer CAMP Refugee Helpers am 14.11.2015

In Deutschland überlagert der Leitspruch „Refugees Welcome“ die eigentlich notwendige Diskussion, wie man mit den Flüchtlingen kommuniziert und auf welchem Wege man welche Hilfe und Unterstützung anbietet. Tun wir zu viel oder zu wenig? Sind wir als Helfer nicht sogar zu verschlossen für einen Dialog auf Augenhöhe mit den Flüchtlingen? Welche Folgen würde dies haben?

In der Diskussion wurden verschiedene Missstände, aber auch Potenziale in der Flüchtlingshilfe benannt:

-Man muss respektieren, dass Flüchtlinge sich selbst organisieren können und wollen – man sollte ihnen den Raum geben, sich untereinander kennenzulernen, Themen/ Aktivitäten zu diskutieren und zu priorisieren. Wir vergessen, dass es nicht den „Refugee“ gibt, sondern jeder unterschiedlich ist, verschiedene Kulturen, Lebensläufe, Wünsche und Erwartungen mitbringt. Wir müssen lernen, dass die einen demonstrieren und für ihr Bleiberecht kämpfen wollen, und dass eine Familie auch nur in Sicherheit sein und die Erlebnisse verarbeiten möchte. Die Helfer sollten eine unterstützende Funktion haben, z.B. innerhalb der Organisation, bei der Vernetzung oder auch dem Bekanntmachen der jeweiligen Aktivitäten, die die Flüchtlinge initiiert haben.

-Die ankommenden Flüchtlinge haben nicht nur eine andere Kultur als die Alteingesessenen, sondern mitunter auch eine andere Hautfarbe. Sie sehen sich der Großzahl an Helfern mit „weißem“ Hintergrund gegenüber, was zu Konflikten zwischen Helfern und Flüchtlinge führen kann – von Einschüchterung bis hin zu empfundenem Rassismus.

-Konflikt der Bevormundung: Wir als „Weiße“ wissen, was Flüchtlinge brauchen, ohne oft direkt mit ihnen gesprochen zu haben. Wir erwarten die Akzeptanz der angebotenen Hilfe und reagieren kritisch, wenn nicht sogar aggressiv, wenn Flüchtlinge diese Hilfe nicht annehmen. Der Dialog muss sich öffnen und auch Kritik vonseiten der Flüchtlinge zulassen. Man sollte nicht (be)urteilen, sondern vielmehr organisieren. Der Dialog auf Augenhöhe fehlt oft. Ebenso die Auseinandersetzung mit den Kulturen/ Problemen der Flüchtlinge auf unserer Seite.

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-Man kann oft gar nicht direkt mit Flüchtlingen sprechen, da beispielsweise Unterkünfte von Nicht-Flüchtlingen geführt und vertreten werden, die bereits entschieden haben, welche Hilfe notwendig ist.

-Ablenkung ist ebenso wichtig wie die Erstversorgung, und es gibt bereits einige Initiativen, die Freizeitangebote und hilfreiche Services bieten. Dennoch: bestehendes Wissen wird nicht mit den Flüchtlingen geteilt. Z.B. war die kostenlose Langenscheidt-Übersetzungs-App vielen nicht bekannt.

-Es bestehen bereits viele Communities, die Übersetzung, rechtliche Beratung und Unterstützung im Bürokratie-Dschungel bieten. Diese aber oft nicht bekannt. Statt ständig neue Organisationen und Gruppen zu gründen, sollten die Bestehenden vielmehr vernetzt und zentral verfügbar gemacht werden (Anm. d. Redaktion: versucht die Plattform www.schnell-helfen.de )

-Universitäten könnten viel mehr eingebunden werden (thematisch und mit Projekten, z.B. Forschung von Kulturthemen, der Evolution von Migration oder dem Aufbau eines Wissenstransfer-Netzwerks)

-Formelles erschwert immer wieder die Abläufe. Die klare Forderung ist, kleinere Communities und Gruppen vor Ort zu bilden, die sofort handeln können.

-Wir fordern alle die Integration der Flüchtlinge. Aber es ist nicht klar, wohin sich Flüchtlinge integrieren sollen. Worin sind wir als Deutsche/ Nicht-Flüchtlinge integriert, und gibt es eine klare Idee davon, was unsere Kultur ist?

-Es gibt keinen Plan, was wir mit den Menschen machen, die langfristig hier bleiben. Werden sie nicht weiterhin die Machtlosen sein, abhängig von Staat und den Helfern? Was passiert mit denen, die sich nicht integrieren, weder die Sprache lernen, noch einen Job aufnehmen? Mit denen, die sich weiterhin ihrer Kultur verpflichtet fühlen und diese leben wollen?

Buchempfehlung: „Anders Europäisch: Rassismus, Identität und Widerstand im vereinten Europa“ von Fatima El-Tayeb

Zitate aus der Gruppe:

„We need to change perspective. Refugees want to talk, they have questions, they want to engage and are glad when they meet people that are open to communicate and even become friends.”

“Maybe they don’t want to do anything together. Hear them first, get to know each other step by step and help them with existing groups and information so they can go their own way.”

„We are not all equal.“

„I can feel my skin colour in this group.“ (Statement eines Teilnehmers zum großen Anteil der hellhäutigen Teilnehmer)

“We need to be open for the process, even if we not gonna know what’s going to be the result.”

“I’m fed up with ‚Refugees Welcome‘, because it’s not true.”

„Don’t use ‚integration‘ as word, rather communicate with them.”

 

Foto: #otc15 (CC BY SA) / www.eventfotografie-klant.de

Text:

CC Lizenz

 

Anne Gabriel

Anne Gabriel arbeitet im Employer Branding bei Zalando. Zuvor betreute sie acht Jahre lang in Kreativagenturen wie Scholz & Friends und dieckertschmidt Kampagnen in jeder Bandbreite. In ihrer Freizeit kämpft sie für den Umweltschutz und unterstützt soziale Initiativen, wie die des openTransfer Camps.

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