Mentoring in Zeiten von Corona – im Gespräch mit den JOBLINGEN
Dem Fachkräftemangel begegnen, Jugendarbeitslosigkeit verringern, Bildungsgerechtigkeit und Chancen schaffen – die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen sind so vielfältig wie die Ansätze, ihnen zu begegnen. JOBLINGE fokussiert sich auf die Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt und unterstützt Jugendliche mit schwierigen Startbedingungen dabei, sich ihren Ausbildungsplatz selber zu erarbeiten. Wir sprachen mit Marijana Bralo, stellvertretende Regionalleiterin bei JOBLINGE München, über Bildungsgerechtigkeit und den plötzlichen digitalen Wandel ihres Projektes zu Beginn der Corona-Pandemie.
Marijana Bralo arbeitet seit über acht Jahren für die JOBLINGE am Standort München. Das Konzept der Organisation, welches Teilnehmende mit einer Kombination aus Berufsberatung, Mentoring, Praxisphase und Ausbildungsbegleitung bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt, überzeugte sie damals, im Vorstellungsgespräch, sofort. „Kurzfristige Hilfen bringen wenig. Die Hilfe zur Selbsthilfe sowie eine langfristige Begleitung der Jugendlichen führt zu nachhaltigen Erfolgen,“ erklärt sie. Diese Erfolge lassen sich in Zahlen messen: Die Vermittlungsquote von JOBLINGE-Teilnehmenden in den ersten Arbeitsmarkt liegt bei 75 Prozent, die Nachhaltigkeitsquote (gemessen sechs Monate nach Ausbildungsbeginn) bei 85 Prozent.
„Für wen das Korsett Schule nicht passt, der bleibt auf der Strecke.“
Das (deutsche) Schulsystem empfindet Marijana Bralo als stark diskriminierend: „Hier gibt es nur schwarz oder weiß, wer nicht ins Schulsystem passt, dem wird keine weitere Hilfestellung angeboten, der fällt durch das System.“ So würden die Stärken oder Fähigkeiten mancher Schüler:innen nie erkannt werden. Die Jugendlichen, die an den Angeboten der JOBLINGE teilnehmen, haben auf dem ersten Arbeitsmarkt meist kaum eine Chance. Dies sei nicht zwingend auf ihre individuellen Fähigkeiten zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass ihren Eltern das Geld fehle, um ihnen wichtige außerschulische Förderung zukommen zu lassen, erklärt Marijana Bralo. „Alles was geht, ist die Schule selbst, die wiederum auf einem sehr engen Korsett und auf der Benotung der Schüler:innen beruht. Für wen dieses Korsett nicht passt, der bleibt eben auf der Strecke, so Marijana.“ Lehrer:innen fehle zudem oft die Zeit, auf die individuellen Bedürfnisse von Schüler:innen einzugehen, die mit dem normalen Schulsystem nur schwer oder gar nicht zurechtkommen.
Digitalisierung als Mammutprozess
Mit Beginn des ersten Lockdowns mussten die JOBLINGE – von heute auf morgen – ihr gesamtes Konzept digitalisieren. Ein Mammutprojekt, berichtet Marijana. „Hier war die Bildungsungerechtigkeit ganz deutlich zu spüren: Kaum einer unserer Teilnehmenden hatte zu Hause einen eigenen Arbeitsbereich, geschweige denn die nötige technische Ausstattung oder WLAN, um problemlos arbeiten zu können.“ Dank der Reichweite von JOBLINGE war es dem Münchner Team allerdings möglich, über zahlreiche Kooperationspartner:innen an mehr als 60 Laptops zu gelangen und diese an Teilnehmende zu vermitteln. Darüber hinaus stellte das Team eine digitale Berufsberatung sicher, bot eine Online-Ausbildungsbegleitung an und digitalisierte ihr Mentoring-Programm. Digitale pädagogische Arbeit sei für viele Mitarbeitende eine neue Erfahrung gewesen. „So haben wir unsere Arbeitsweisen immer weiter angepasst, verändert und optimiert. Es gab keine Alternative, daher mussten wir es schaffen. Wir haben uns getraut und es hat geklappt.“
„Für manche unserer Teilnehmenden ist der digitale Weg der Richtige!“
Im Zusammenhang mit der Digitalisierung des gesamten Projektes habe das JOBLINGE-Team aus pädagogischer Sicht einige spannende Beobachtungen gemacht. So seien einige der teilnehmenden Jugendlichen, die sich in Präsenzveranstaltungen eher zurückhaltend gezeigt hätten, bei digitalen Veranstaltungen plötzlich völlig aus sich herausgekommen. „Gegebenenfalls fühlten sie sich sicherer im Kontext ihres eigenen Zuhauses“, mutmaßt Marijana. „Der jetzige Ausnahmezustand hat bewiesen, dass Teamfähigkeit viele Facetten haben kann und bestimmte Menschen Online-Kompetenzen mitbringen, die wir anerkennen sollten.“ Die JOBLINGE werden daher auch in Zukunft für die verschiedenen Bedarfe unterschiedliche Angebote machen.
Mentoring aktuell wichtiger denn je
Zum Erfolg des Programms führe auch der Ansatz eines 1:1-Mentorings. Einmal die Woche treffen sich die Teilnehmenden der JOBLINGE für ein bis zwei Stunden mit ihren Mentor:innen. Diese Beziehung sieht Marijana als mitausschlaggebend für den Erfolg des Projektes. In Phasen von Kontaktbeschränkungen sei es wichtiger denn je, jemanden zu haben, der einem unvoreingenommen zur Seite stehe, der Unterstützung anböte und einen in dieser herausfordernden Zeit stärke, motiviere und auffange.“ Während der Corona Pandemie komme es oftmals zu Motivationslöchern bei den Jugendlichen, weswegen Mentoring für die JOBLINGE gerade besonders wichtig ist. „Insbesondere, wenn man von zu Hause nicht diese wichtige Unterstützung bekommt oder es an Vorbildern mangelt“, erklärt Marijana. „Mentor:innen vermitteln Ruhe und Kraft in diesen unruhigen Zeiten.“
Marijana Bralo ist seit gut sieben Jahren am JOBLINGE Standort München tätig – aktuell als Hauptkoordinatorin für Jugendliche und Mentor*innen sowie als stellvertretende Regionalleiterin. Nach ihrem Diplomstudium der Philosophie und Soziologie, das sie 2006 in ihrem Heimatland Kroatien abgeschlossen hat, war sie für verschiedene NGOs in Deutschland und Kroatien tätig. 2014 heuerte sie schließlich bei JOBLINGE an und ist seit einigen Jahren außerdem als systemische Kinder- und Jugendtherapeutin aktiv. |