Wie beeinflussen Krisen die Rolle ehrenamtlicher Mentor:innen?
Eine Session von: Ruth Oppl & Jane Daffy (Unionhilfswerk Berlin – Hürdenspringer Mentoring Projekte)
Worum ging es in der Session?
Gerade durch die Vertrautheit sowie die emotionale Nähe, die im Mentoring zwischen Mentor:innen und Mentees entsteht, können Krisensituationen für ehrenamtliche Mentor:innen belastende Herausforderungen darstellen. Anhand von Fallbeispielen aus der Praxis wurde in der Session dazu gearbeitet, wie Freiwillige davor geschützt werden können, in einer akuten Krisensituation auszubrennen.
Hürdenspringer: Theorie & Praxis
Die drei Krisenszenarien aus der Praxis der Hürdenspringer Programme, die von Jane Daffy und Ruth Oppl vorbereitet wurden, sollten vor allem durch die Unterschiedlichkeit ihrer Wirkungsweise dazu dienen, den Sessionteilnehmer:innen im gemeinsamen Gespräch zu ermöglichen, verschiedene Wege aus den Krisen heraus zu finden.
- Covid 19, die Pandemie als Krise, die von außen kommt und direkt auf beide – Mentee und Mentor:in – einwirkt. Unsicherheit, der Wegfall von Strukturen, die Schwierigkeiten sich zu treffen – all dies beeinflusst beide Personen in ihrer Tandemarbeit.
- Die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan als Krise, die von außen kommt und direkt auf den:die Mentee (afghanische:r Geflüchtete:r) einwirkt (Angst um Familienangehörige).
- Der Mentee verliebt sich in seine:n Mentor:in – eine Krise, die sich von innen aus der Tandembeziehung entwickelt und sowohl Mentee als auch Mentor:in direkt betrifft.
Die Teilnehmenden haben daraufhin das zweite Thema, die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan, zur ausführlicheren Bearbeitung ausgewählt. Zusätzlich wurde ein Krisenszenario bearbeitet, das aus der Runde eingebracht wurde: Armut des Mentees bzw. der Familie des Mentees.
Ein „Schutzschirm“ für Mentor:innen
Im Sommer 2021 endete der NATO-Einsatz in Afghanistan und die Taliban übernahmen nach dem Abzug der internationalen Truppen auch in Kabul die Macht. An den Flughäfen spielten sich dramatische Szenen ab, als Menschen, die sich verzweifelt an die Triebwerke der Flugzeuge geklammert hatten, in den Tod stürzten. Mentees, die aus Afghanistan geflüchtet waren und noch Familie vor Ort hatten, wurden durch diese Entwicklung in eine tiefe Krise gestürzt: Sie mussten um das Leben ihrer Angehörigen fürchten und waren außerdem die Hoffnungsträger:innen der Zurückgelassenen, von denen erwartet wurde, die restliche Familie aus Afghanistan zu holen und vor den Taliban zu retten. Gemeinsam wurde in der Session erarbeitet, wie diese Krise der Mentees eine Krise bei den Mentor:innen zur Folge haben konnte.
Angst vor der Retraumatisierung der Mentees, Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht bei den Mentor:innen sowie die Erfahrung der eigenen Ahnungslosigkeit, aus der Erklärungsnot und Unsicherheit resultieren, wurden als mögliche Punkte genannt, die zu einer psychischen Überlastung der Freiwilligen führen können. Alle diese potentiellen Überlastungspunkte wurden als symbolische „Tropfen“ an einen Regeschirm montiert, der als „Schutzschirm“ für die Freiwilligen mit Gegenmaßnahmen wie: „Supervision“, „Austauschformate für Mentees schaffen“, „externe Beratungsstellen aufsuchen“, „verstärkt“ wurde.
Abschließend umrissen Jane Daffy und Ruth Oppl die Maßnahmen, die von den Hürdenspringern getroffen wurden: Neben dem Angebot zur Supervision wurde ein Informationsabend mit der Rechtsanwältin Inken Stern, einer Spezialistin zur neuen Rechtslage für afghanische Geflüchtete, organisiert. Die Veranstaltung war ein Angebot für beide Seiten– Mentees und Mentor:innen.
Im Vorfeld diskutierten die Projektkoordinator:innen darüber, ob der Vortrag mit anschließender Fragerunde nur für die Mentor:innen geöffnet werden sollte. Es gab die Befürchtung, dass Mentees weinen oder zusammenbrechen könnten, wenn sie durch die Rechtsanwältin erfahren, dass es für sie keine Möglichkeit gibt, ihre Verwandten aus Afghanistan heraus zu holen. Für das gemeinsame Format wurde sich entschieden, weil den Mentor:innen die Last genommen werden sollte, die Überbringer:innen der schlechten Nachrichten zu sein. Stattdessen wurde ein Szenario gewählt, in dem beide Parts gleichzeitig die relevanten Informationen erhalten. In den meisten Fällen sind die Tandems – auch gestützt durch Supervision – gestärkt daraus hervorgegangen.
Armut im Tandem
Anschließend wurde in der Session darüber diskutiert, wie Mentor:innen mit dem Thema „Armut des Mentees bzw. der Familie des Mentees“ umgehen können. Vor dem Hintergrund der steigenden Inflation war sich die Gruppe einig, dass dieses Thema in Zukunft vermehrt in Mentoringbeziehungen auftreten wird. Es stellt sich heraus, dass es aufgrund der unterschiedlichen Mentoring- bzw. Patenschaftskonzepte deutliche Unterschiede im Umgang mit der Situation gibt.
Während den Mentor:innen bei den Hürdenspringern schon in der Einstiegsqualifizierung nahegelegt wird, Mentees kein Geld zu leihen (auch um die Augenhöhe innerhalb des Tandems zu wahren und Abhängigkeitsverhältnisse zu vermeiden), ist es in Fällen von zeitlich länger andauernden Patenschaften durchaus möglich und auch üblich z.B. der Herkunftsfamilie des Patenkindes beim Kauf einer Waschmaschine finanziell unter die Arme zu greifen. Damit dabei keine zusätzliche Verpflichtung auf Seiten des Mentees entsteht, erschien es den Sessionteilnehmer:innen als sinnvoll, solche Art der (finanziellen) Hilfe als Geschenk und nicht als Kredit zu handhaben.
Als weitere Möglichkeit wurde die Reflektion unterschiedlicher Umgangsweisen mit Geld genannt. Die aufgestellte These lautete: Menschen, für die Armut eine Grunderfahrung darstellt, neigen dazu besonders großzügig zu sein, wenn Geld vorhanden ist, während Menschen, die ohne Armutserfahrung aufgewachsen sind, finanzielle Ressourcen langfristiger einteilen und verplanen. Dieses Wissen um das „Wie“ im Umgang mit Geld kann im Mentoringprozess hervorragend weitervermittelt werden. Ein weiterer, auch für andere Themen wegweisender Gedanke, kam relativ spät zur Sprache: Der Einsatz von Freiwilligen – nicht der Mentor:innen selbst – für Spendenaktionen und andere unterstützenden Initiativen, womit die Problematik aus der Tandemarbeit ausgelagert werden und somit „entschärft“ werden kann. Abschließend wurde außerdem auf die Nutzung von Unterstützungsmöglichkeiten aus Netzwerken verwiesen.
Artikel: Ruth Oppl