Gute Zusammenarbeit: Wie mentale Gesundheit auf Organisationsebene gelebt wird

Die vergangenen Jahre haben Arbeitsprozesse in Organisationen verändert, psychische Belastungen nehmen zu. Die mentale Gesundheit wird zwar offen diskutiert, doch konkrete Maßnahmen bleiben oft aus. Die Beraterin Beate Haverkamp erklärt, wie Menschen in Organisationen gut und mental gesund miteinander arbeiten können.

Im Homeoffice ist das Privatleben allgegenwärtig, der Feierabend kaum geregelt. Die Krise hat den psychischen Druck erhöht – auch in Patenschafts- und Mentoringorganisationen. Dauerstress und daraus resultierende psychische Erkrankungen sind die Folge. Doch eine Zeit der Krise ist immer auch eine Zeit des Umbruchs. Die psychische Gesundheit rückt in den Fokus der Verantwortlichen. Eine offene Präventionskultur bahnt sich ihren Weg in die Organisationen. Beate Haverkamp, Geschäftsführerin des Conversio Instituts, weiß wie ein gutes und gesundes Arbeitsklima aussehen muss und was Patenschafts- und Mentoringorganisationen tun können, damit die mentale Gesundheit im Team nicht leidet.

Mitgestaltende statt Mitarbeitende

Die Basis eines gesunden Arbeitsklimas bestehe, so die Expertin, aus vier Komponenten: Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit, Zugehörigkeit und Gestaltbarkeit. „Die Menschen müssen den Sinn erkennen, in dem was sie tun. Sie müssen verstehen, was und warum sie es tun, müssen Teil eines Teams sein und mitgestalten können“, sagt die 60-jährige Diplom-Sozialarbeiterin, die seit 2006 als selbstständige Beraterin und Coach arbeitet und in ihrem beruflichen Leben schon viele Teams geleitet hat. Aus Erfahrung weiß sie: Wer das Gefühl hat, innerhalb der Organisation selbst etwas bewegen zu können und Einfluss auf Entscheidungen hat, fühlt sich deutlich weniger ausgeliefert. In der Rolle eines Mitgestaltenden wird der Mensch Teil des großen Ganzen und übernimmt Verantwortung. „Mitgestaltende fühlen sich deutlich seltener in der Opferrolle, sind zufriedener und dementsprechend auch glücklicher im Job“, sagt die Expertin.

Für Menschen, die Projekte koordinieren und Teams anleiten, spiele die eigene Haltung eine entscheidende Rolle. „Wer immer noch mehr arbeiten, noch mehr leisten, noch mehr Projekte übernehmen will, denkt zu kurz“, sagt Beate, „die Menschen dürfen sich nicht in ein enges Korsett stecken lassen, sondern müssen über sich hinaus gucken.“ Statt reflexhaft auf eine Situation zu reagieren, sollten die Menschen lieber besonnen agieren und sich bewusst für den nächsten Schritt entscheiden. „Nur wenn ich mir bewusst darüber bin, was ich will und wie ich das erreichen möchte, kann ich eine konkrete Haltung einnehmen und dem Team vermitteln, warum ich mich so entschieden habe“, sagt Beate, „und diese Haltung ist mein Stern, an dem ich mich ausrichten kann und der dafür sorgt, dass auch ich selbst gesund, glücklich und zufrieden bleibe und den Job lange machen kann, ohne daran zu zerbrechen.“ Wer über den eigenen Stress und den Stress innerhalb des Teams hinwegsieht, gerät laut Expertin schnell in einen Teufelskreis. „Denn wer aus sich selbst und auch aus dem Team immer noch mehr herausholen möchte, erreicht am Ende immer weniger Output.“

Raus aus dem Hamsterrad

Dafür zu sorgen, dass die tägliche Arbeit nicht zum Dauerstressfaktor wird, sei Aufgabe der Patenschafts- und Mentoringorganisationen selbst und nicht der Mitarbeitenden. „Wer immer nur darauf guckt, dass die eigenen Leute in jeder Minute ihrer Arbeitszeit richtig performen, Überstunden erwartet und die Zahlen in den Mittelpunkt stellt, wird scheitern“, sagt Beate, „es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass so eine Einstellung kurzfristig Erfolg bringt, aber langfristig oft nicht funktioniert.“ Es nütze auch wenig, Menschen, die kurz vor dem Burn-Out stehen, zu sagen, sie sollen mehr Pausen machen, aktiver sein, sich gesünder ernähren oder genug schlafen. „Das ist alles wichtig, aber das allein reicht nicht.“ Es sei die Pflicht der Organisation, für ein gesundes Arbeits- und Engagementklima zu sorgen und die Belastung für alle Haupt- und Ehrenamtlichen in der Balance zu halten.

Stress müsse jedoch keineswegs immer etwas Negatives sein, so die Beraterin. „Der Punkt ist, ihn wahrzunehmen und im Team zu formulieren“, sagt Beate. Vermeiden müsse man Stress daher nicht, aber ihn sehen und steuern. „Dann kann der Stress sogar Spaß machen, weil die Menschen gemeinsam gefordert werden und richtig loslegen können. Das bringt Energie.“

Dabei helfe es, alle Beteiligten zu fragen, wie sie die anstehende Aufgabe anpacken und mit der stressigen Phase umgehen wollen. Wichtig: Lösungsorientierte Fragen stellen, die sich mit der Zukunft beschäftigen. Nicht zurückblicken, sondern nach vorn. „Es bringt nichts, wenn sich die Menschen gegen anstehende Projekte wehren, sich aufregen und immer wieder im Kreis drehen, statt nach Lösungen zu suchen, wie die stressige Zeit gemeinsam angepackt werden kann.“ Die Aufgabe von Führungskräften sei es dann, den Blick gen Zukunft zu richten, ruhige Phasen für sich selbst und das Team einzuplanen, in denen weniger Projekte übernommen oder Überstunden abgebaut werden können. Auch ein Team-Event am Ende einer stressigen Phase kann ein lohnendes Ziel sein. „Diese Versprechen müssen dann natürlich auch eingelöst werden.“

Praxistipp: Einfach mal das Gegenteil tun

Die Expertin hat eine praktische Übung, die zeigt, wie man alternativ auf bestimmte Situation reagieren kann, um negativen Stress zu vermeiden. Die Übung zeigt, dass jede und jeder Handlungsmacht hat und es sich lohnen kann, aus alten Verhaltensmustern auszubrechen. Und sie geht so: Die Teilnehmenden nehmen eine konkrete Situation, wie beispielweise ein neues Projekt, und überlegen, wie sie als Team üblicherweise darauf reagieren. Ihre Antworten schreiben sie auf eine Seite der Flipchart auf. „Das kann zum Beispiel sein, dass sie zunächst ewig lange E-Mails an die Chefin oder den Chef schreiben und erklären, warum das alles nicht funktionieren kann – was natürlich bereits unheimlich viel Energie frisst“, sagt Beate. Gemeinsam schaut das Team dann, wie sich die Antworten anfühlen. Dann schreiben die Teilnehmenden gegenteilige Reaktionsmöglichkeiten auf. „Das Interessante daran ist, dass drei Menschen drei ganz unterschiedliche Ideen haben können. So hat das Team nachher eine Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten.“ Und zugleich auch die Erkenntnis, dass die früheren Reaktionen in vielen Situationen wenig weitergeholfen oder den Stress sogar verschlimmert haben – und jetzt die Zeit für einen Wandel ist.


Artikel: Kristin Kasten

Christine Langer

Christine Langer ist bei der Stiftung Bürgermut als Projektkoordinatorin bei openTransfer #Patenschaften tätig. Sie studierte Internationale Entwicklung und Koreanologie in Wien und Seoul (Südkorea) sowie Gender Studies in Berlin (MA Gender Studies). Während ihrem Studium begann sie beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) zu arbeiten wo sie nach ihrem Abschluss das Mentor:innen Programm für queere Geflüchtete leitete. Privat engagiert sie sich im Bereich (Queer-)Feminismus und Fußball.

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