Klassismus. Die vergessene Diskriminierungsform

Workshop-Dokumentation – openTransfer CAMP #VielfaltStärken

Referent:in: Prof. Dr. Francis Seeck

Fotocredit: Jasmin Valcarcel | openTransfer CAMP #VielfaltStärken

Der Workshop zum Thema „Klassismus. Die vergessene Diskriminierungsform“ wurde von Prof. Dr. Francis Seeck geleitet, Expert:in für Antidiskriminierung und Professor:in für Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Demokratie- und Menschenrechtsbildung an der TH Nürnberg. 

Der Workshop bot einen umfassenden Einblick in die oft vergessene Diskriminierungsform Klassismus und gab den Teilnehmenden wertvolle Anregungen, wie sie in ihren Mentoring-Ansätzen klassismuskritisch handeln können.

Einführung Klassismus und Begriffsdefinition

Die Teilnehmenden brachten unterschiedliche Hintergründe mit: verschiedene persönliche Betroffenheiten oder auch berufliches Interesse am Thema. Im Austausch wurde deutlich, dass Klassismus oft übersehen oder meist nur im Kontext von Bildung und Beruf besprochen wird. Ein zentrales Anliegen des Workshops war es, sich darüber auszutauschen, wie Klassismus im Patenschaftskontext bei der Qualifizierung von Mentor:innen und Mentees eine Rolle spielt.

Klassismus bezeichnet das systematische Abgeschnitten-Sein oder Abgeschnitten-Werden von Ressourcen wie Geld, Bildung, Anerkennung und Teilhabe. Dabei geht es immer um die soziale Herkunft und den sozialen Status. Auch die Wichtigkeit des Einkommens und des Vermögens wurde in diesem Zusammenhang betont. Im öffentlichen Diskurs stehen oft Erstakademiker:innen oder sogenannte “Arbeiter:innenkinder” im Fokus, denn Klassismus verhindert unter anderem Bildungsgerechtigkeit. Ein beliebtes Beispiel zur Verdeutlichung von Klassismus sind Gymnasialempfehlungen: Kinder aus Nicht-Akademiker:innen Haushalten müssen höhere Leistungen erbringen, um den gleichen Zugang zu erhalten wie Kinder aus Akademiker:innen-Familien. Aber auch Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss, Wohnungslose und armutsbetroffene Personen sind von Klassismus betroffen.

Wichtig ist, dass Klassismus keine neue Form der Diskriminierung ist. Der Begriff kommt aus feministischen und antirassistischen Bewegungen und wurde in den 1980ern das erste Mal im deutschen Raum verwendet. In der öffentlichen Debatte wird Klassismus als Diskriminierungsform zunehmend bedeutsamer.

Praxisbezogene Übungseinheit

Eine Biographie-Übung regte die Teilnehmenden dazu an, Symbole, Bilder und Gegenstände zu identifizieren, die ihre Klassenherkunft sowie ihre aktuelle Klassenposition repräsentieren. Im Rahmen dieser Übung wurde die Wichtigkeit von Statussymbolen für das Selbstverständnis besprochen, sowie die bewusste Abgrenzung von der familiären Herkunft, um sich dadurch von der zugeschriebenen Klasse zu distanzieren. Die Frage, ob man seine Herkunft jemals wirklich hinter sich lassen könne und ob das wünschenswert sei, wurde im Plenum diskutiert. Zum Beispiel können Dialekte oft die Herkunft verraten, auch wenn dies nicht erwünscht ist. Während sich manche ganz bewusst dazu entscheiden, ihre Sprache zu verändern, um Kategorisierungen zu entgehen, möchten sich andere wiederum nicht anpassen und zeigen gerne ihre Klassenzugehörigkeit. Das Verstecken von Dialekten und die bewusste Anpassung an höhere Klassen bezeichnet man auch als “Habitus-Flexibilität”.

Im Mentoring ist es wichtig, nicht Menschen, sondern Strukturen verändern zu wollen. Denn es sollten nicht Menschen dazu angeregt werden, sich den Strukturen anzupassen, die sie benachteiligen. Vielmehr sollten wir darauf hinarbeiten, Räume zugänglicher zu gestalten und die Teilhabe und Partizipation für alle zu fördern. 

Es wurde hervorgehoben, dass Begriffe wie „sozial benachteiligte Familien” nicht klassismuskritisch sind und besser durch „strukturell benachteiligt“ oder „armutsbetroffen“ ersetzt werden sollten. 

Lesempfehlungen

Zum Abschluss gab Prof. Dr. Francis Seeck Leseempfehlungen: Francis Seeck (2022): Zugang verwehrt. Keine Chance in der Klassengesellschaft: wie Klassismus soziale Ungleichheit fördert. Artrium Verlag. 

Francis Seeck, Brigitte Theißl (Hg., 2023): Solidarisch gegen Klassismus. organisieren, intervenieren, umverteilen. Unrast Verlag. 

Francis Seeck (2024): Klassismus überwinden. Wege in eine sozial gerechte Gesellschaft. Unrast Verlag.Herausgegeben von Francis Seeck / Claudia Steckelberg (Hg., 2024) . Klassismuskritik und Soziale Arbeit. Analysen, Reflexionen und Denkanstöße. Beltz.

Daniel Männlein

Daniel Männlein ist Programmmanager im Programm openTransfer Patenschaften und gestaltet bundesweit Angebote für Patenschafts-, Mentoring- und Tandemprojekte. Er hat Sozialwissenschaften in Augsburg, Spanien und Berlin mit Schwerpunkt auf Stadt- und Migrationsforschung studiert. Vor seiner Tätigkeit bei der Stiftung Bürgermut sammelte er wertvolle Erfahrungen in der Projektförderung bei der Robert Bosch Stiftung, in der Projektarbeit bei zivilgesellschaftlichen Trägern und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

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