Mentoringreise: Rückblick auf ein Jahr Erfahrung teilen

Ein Jahr lang bereiste Sebastian Volberg die deutsche Mentoring-Landschaft. Hier berichtet er, warum er ausgerechnet in einer „Teilen-Bewegung“ lernte, dass das Prinzip geben auch im Nonprofit-Bereich alles andere als selbstverständlich ist.

 

Ein Jahr war ich auf eigene Faust in der Mentoring- und Patenschaftsszene unterwegs: von der kleinen Nachbarschaftsinitiative bis zum großen Social Franchise. Überall habe ich gesehen, wie sich Menschen einsetzen, um die Potenziale von Kindern und Jugendlichen zu entfalten, Menschen zusammenzubringen, die sonst nicht zusammen finden würden, und um einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit zu leisten.

Gestartet bin ich im September 2012 mit einer BahnCard100 in der Hand. Die Idee war es, dass ich auf meinem Blog über meine Reise berichte. Im Kern sollte es eigentlich eine „Weitererzählreise“ werden. In Form von kleinen Geschichten aus Mentoring- und Patenschaftsprogrammen und von aktiven Personen wollte ich Wissen weitertragen. Aus meinen Reisegeschichte sollte damals ein Buch entstehen. Das habe ich aber irgendwann aufgegeben, weil der Aufwand zu groß gewesen wäre. Deshalb bin ich froh, dass ich einen kleinen Rückblick nun auf openTransfer.de wagen kann.

Kurzer Rückblick

Mitte September 2013 wurde bekannt, dass die Benckiser Stiftung Zukunft ihr finanzielles Engagement beim deutschen Ableger des weltweit größten Mentoringprogrammes, Big Brothers Big Sisters (BBBSD), zum Dezember 2014 aufgeben und stattdessen ein anderes in Deutschland verbreitetes Mentoringprogramm, Balu und Du, unterstützen wird.

Im schlimmsten Falle werden nun die Expertise, die Erfahrungen und das Wissen der Beteiligten bei BBBS verloren gehen. Dieses Wissen ist jedoch ein wertvoller Schatz, der der gesamten Mentoring- und Patenschaftsszene mit ihren vielen Programmen und Netzwerken und damit dem Engagement von rund 60.000 Ehrenamtlichen (Schätzung von aktivpaten.de) für mindestens ebenso viele Kinder und Jugendliche helfen kann. Meiner Meinung nach kann ein offenerer Austausch über Ideen, Konzepte und Wissen dazu beitragen, die Folgen solcher Schließungen abzumildern. Ein Lichtblick: Im Januar 2014 haben sich einige Mentoren von BBBSD zum Mentoren für Kinder e.V. zusammengetan um eine Nachfolgelösung zu finden.

Vor dem Hintergrund dieses drastischen Beispiels bekommt das Kernthema meiner Reise seine besondere Bedeutung.

Weitererzählen und Bloggen

„Hey, wenn du mir von einer cleveren Idee erzählst, dann gehe davon aus, dass ich es weitersage.“ Das war die Message, mit der ich durch die Gegend getingelt bin. Was eine Organisation X an einem Ort A bereits kann und weiß, könnte einer Organisation Y an einem Ort B vielleicht weiterhelfen. Das war mein Gedanke, als ich mich zum ersten Mal auf den Weg machte. Ich würde also helfen, das Konzept Mentoring voranzutreiben und dabei zur Verbesserung der Arbeit am jeweiligen Ort einen Beitrag zu leisten.

Hbf klein

Es ging also um einen Transfer von Wissen und von Erfahrung. Als ich loslegte, hatte ich noch keinen Begriff, ich wollte einfach diese Landschaft kennenlernen. Einmal pro Woche wollte ich meinen Reiseblog aktualisieren. Eigentlich nur um festzuhalten, was ich die Woche über gemacht habe und um eine kleine Mentoring-Story zu erzählen.

Und plötzlich bin ich aufgewacht

Mit der Zeit wurde ich in erster Linie durch den Blog wahrgenommen. Quasi als Berichterstatter und Ermöglicher von ein bisschen Öffentlichkeit für kleinere Projekte. Das Bloggen brachte aber auch mit sich, dass ich im Mai 2013 zusammen mit opentransfer.de Gastgeber der NPO-Blogparade „Voneinander lernen in der Zivilgesellschaft“ sein durfte, was angesichts der Beiträge aus unterschiedlichen Bereichen der Zivilgesellschaft ziemlich erfrischend war.

Die zweite Überraschung für mich war, dass Vernetzung und Zusammenarbeit nicht so groß geschrieben werden, wie ich dachte. Das lag vielleicht an meinem Hintergrund. Ehrenamtlich und einfach aus Überzeugung habe ich in Erfurt mit Freunden eine kleine Initiative gegründet, die Mentoring zwischen Studierenden und Jugendlichen in Kooperation mit Streetworkern und Jugendclubs ermöglicht. Für mich hing da kein Job dran, nur mein Idealismus und mein Wille, genau an dieser Stelle etwas zu bewegen. Aus diesem Grund war ich wohl etwas naiv, als ich dachte, dass alle irgendwie ein ähnliches Ideal vor Augen haben und sich verbunden fühlen, weil sie mit ähnlichen Ansätzen etwas bewegen wollen und deswegen auch „in einem Boot“ sitzen.

Nicht unbedingt das Gegenteil, aber eine ganz andere Realität offenbarte sich mir: Ein umkämpfter Markt um Förderungen, Fame und die Pappkrone für die innovativste Idee, die Stiftungen, Bund und Strukturprogramme zu vergeben haben. Passend dazu sieht man hin und wieder Eigenbrödlerei, Selbstdarstellung, Konkurrenzdenken, isolierte Ansätze, Doppelstrukturen. Woran das liegen kann, wurde auch in der Blogparade heftig diskutiert.

Bewegungsansätze machen Mut und beeindrucken

Nun möchte ich gar nicht alles schwarz malen. Es ist keinesfalls so, dass sich die Leute häufig beschwert hätten, dass ich durch die Gegend fahre und Wissen (ver)teilen möchte. Wer kein Interesse an einem Austausch mit mir hatte, der hat sich nicht mit mir ausgetauscht. Die Vernetzung wurde teilweise kritisch gesehen, weil zum Beispiel die eigenen Interessen nicht mit denen der anderen zusammenpassten oder der Nutzen nicht ersichtlich war.

Zwei Netzwerke, die es anders machen, habe ich besucht. In ihnen arbeiten Mitglieder unterschiedlicher Organisationen zusammen: der Mentor.Ring Hamburg e.V. und das Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften e.V..

Im Mentor.Ring Hamburg e.V. haben sich aktive Mentoring-, Patenschafts- und Schülercoachinginitiativen zusammengetan. Informelle Stammtische, das Engagement von Stiftungen, Kontakte in Politik und Verwaltung sowie das Vorantreiben durch Einzelne waren wichtige Erfolgsfaktoren des Zusammenschlusses. So war zumindest mein Eindruck, als ich im Herbst 2012 ein Praktikum in der Schulbehörde absolvierte und kurz zuvor beim 4. Hamburger Mentoringtag und der Gründungsversammlung des Mentor.Ring Hamburg e.V. dabei war.

Das Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften ist bereits mehr als ein halbes Jahr länger ein eingetragener Verein. Auch hier haben Stammtische und das starke Engagement einzelner Akteure dafür gesorgt, dass sich der Verein rasch entwickelt hat und mittlerweile eigene geförderte Projekte trägt, die mitgliederübergreifend durchgeführt werden. Dazu gehören das Projekt Patenschaften für nachhaltige Entwicklung und ein europäisches Austauschprojekt im Rahmen des Grundtvig Projekts für lebenslanges Lernen „European Mentoring and Befriending Exchange Programme“ (EMBEP). Was da in Berlin auf die Beine gestellt wird, ist schon beeindruckend.

Neben diesen beiden Beispielen gibt es weitere Netzwerkbestrebungen, wie in Köln und in Frankfurt oder das Ausbildungspatennetzwerk NRW sowie Netzwerke in Hessen und Sachsen-Anhalt. Wahrscheinlich gibt es auch noch einige mehr, von denen ich nichts weiß. Gemein ist ihnen allen, dass über einen geschützten Rahmen die Themenfindung und der Austausch untereinander angeregt wird.

Fazit: Viel.Stimmig.

Ein Ergebnis meiner Reise ist, dass es eine immense Vielfalt und Vielstimmigkeit in der Szene gibt. Nun haben sich Denkwerkstatt JugendMentoring e.V., Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften e.V., Mentor Werk e.V., Patenschaften Aktiv e.V. und das Projektebüro Dialog der Generationen in der Initiative Viel.Stimmig. zusammengefunden. Gemeinsam wollen wir die Vielfalt von Mentoring und Patenschaften sichtbar machen und zu einer gemeinsamen Identität und mehr offenem Austausch anstoßen. Zum Ende meiner Mentoring-Reise hilft eine alte Fußballweisheit: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“

Zug klein

Links:

Mentoring- und Patenschaftsnetzwerke

http://mentor-ring.org

http://www.kipa-berlin.de/

http://muenchner-schuelerpaten.de/

Beispiele zu bundesweitem Austausch über Mentoring- und Patenschaftsnetzwerke

http://www.jugend-mentoring.de/

http://www.generationendialog.de/

http://www.vielstimmig.org/

Blogparade zum Wissenstransfer in der Zivilgesellschaft

https://www.opentransfer.de/2209/npo-blogparade-voneinander-lernen-in-derzivilgesellschaft/

http://www.sebastianvolberg.de/so-richtig-offener-ideentransfer/

Theorie zum Thema Mentoring und Patenschaften

http://jugendmentoring.wordpress.com/working-papers/englischsprachige-literatur/

http://jugendmentoring.wordpress.com/working-papers/literatur-jugend-mentoring/

Sebastian Volberg

Aufgewachsen in Ostwestfalen ging es für Sebastian über den Zivildienst in München und das Studium der Staatswissenschaften in Erfurt 2013 an die TU Dortmund zum Masterstudium "Alternde Gesellschaften". Zuvor war Sebastian ab Herbst 2012 ein Jahr mit einer BahnCard100 unterwegs um die Mentoring- und Patenschaftslandschaft in Deutschland zu erkunden. 12 Monate besuchte er unterschiedliche Mentoring- und Patenschaftsprojekte für Kinder und Jugendliche um Wissen und Erfahrung zu teilen: Hauptsächlich über's Weitererzählen, Kontakte vermitteln und Bloggen auf sebastianvolberg.de."

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